Es fehlt die sechste Säule: Toleranz

Gastkommentar. eine kleine Minderheit innerhalb des Islam. Wirklich?

Vor zehn Jahren publizierte die dänische Zeitung „Jyllands-Posten“ zwölf Zeichnungen des Propheten Mohammed. Die Redaktion hatte 42 Karikaturisten eingeladen, den Propheten zu zeichnen, aber nur zwölf nahmen die Einladung an. Eine der umstrittenen Karikaturen zeigte den Propheten Mohammed mit einem Turban in Form einer Bombe, samt brennender Zündschnur.

Der verantwortliche Zeichner, Kurt Westergaard, wurde über Nacht – wenn auch nur wider Willen – selbst zum Propheten. Der ägyptische Botschafter in Kopenhagen drohte dem damaligen Premier Anders Fogh Rasmussen mit Sanktionen; es gab eine offizielle Forderung, die Pressefreiheit des Landes zu beschränken. Die Nationalversammlung von Bahrain forderte eine schriftliche Entschuldigung von Königin Margrethe II. für die beleidigenden Zeichnungen.

Die Folgen waren verheerend. Empörte Fundamentalisten reagierten weltweit mit Bomben und Brandstiftung. Aber wer entscheidet eigentlich im Namen des Islam, und wer darf so großzügig Fatwas aussprechen? Der Islam soll ja angeblich eine friedliche Religion sein. Und immer wieder heißt es, dass die Anhänger des Fundamentalismus nur eine kleine Minderheit darstellten. Leider entspricht das aber nicht ganz der Wahrheit.

Zurzeit geben sogenannte Rechtsgelehrte wie etwa Yusuf al- Qaradawi den Ton an. Mit unauslöschlichem Eifer predigt er seiner Millionen zählenden Anhängerschaft Intoleranz und legitimiert Mord im Namen des Islam.

Attacke auf die Redefreiheit

In einigen Londoner Stadtteilen patrouilliert bereits eine muslimische Sittenpolizei – „Scharia Patrol“ genannt. Dort sorgt auch Anjem Choudary, ein weiterer tonangebender Fundamentalist, für Furore. Er verkündet seinen Traum: die Ablösung der existierenden Demokratie und die Gründung eines islamischen Staates, in dem die Scharia das Rechtssystem darstellt. Und er möchte die Redefreiheit, die ihm die Verbreitung seiner Romantisierungen des Kalifats ermöglicht, verbieten.

Dass der Islam sich selbst nicht so gern zensuriert, sieht man am tagtäglichen Gebrauch antisemitischer Cartoons in den Medien des arabischen Raums. Die Hamas beruft sich in der eigenen Charta auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, ein gefälschtes antisemitisches Pamphlet, das bereits bei den Nazis Anklang gefunden hat.

Aufruf zu globaler Kontrolle

Die OIC (Organisation für Islamische Zusammenarbeit) beschloss 2006 einstimmig, eine UNO-Resolution zu fordern, in der die Diffamierung aller Propheten und Religionen verboten wird – also die Einführung einer globalen Informationskontrolle. Die inzwischen zweitgrößte internationale Organisation mit 57 Staaten nimmt für sich in Anspruch, die gesamte islamische Welt zu repräsentieren.

Handelt es sich also tatsächlich nur um eine kleine Minderheit, die die intolerante und totalitäre Variante des Islam repräsentiert? Wenn ja, muss konstatiert werden, das diese Minderheit unverhältnismäßig viel Macht ausübt und alles dafür tut, dass dem Islam nur ja kein Haar gekrümmt wird. Dem Islam aber fehlt offensichtlich eine Art moralischer Autorität und eine Ausrichtung, die der Religion den Schritt ins Zeitalter der Aufklärung ermöglichen würde.

Wie also steht es um die Freiheit der Meinungsäußerung? Auch für den Islam gilt in einem säkularen Staat und in einer modernen Demokratie die Religionsfreiheit. Doch wer diese Freiheit in Anspruch nehmen möchte, muss auch Kritik verkraften können. Meinungs- und Pressefreiheit sind letztlich das Immunsystem einer Demokratie.

Falls es den liberalen und friedlichen Islam wirklich gibt, treten dessen Vertreter entschieden zu leise auf. Es ist an der Zeit, die sechste und letzte Säule des Islam zu errichten: die Säule der Toleranz.

Andreas Mytteis (*1974 in Graz) ist ausgebildeter Projektleiter und Marketing-Spezialist. Er lebt seit 1998 in Oslo, Norwegen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)

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