Südtirolpolitik: Wiens Geradlinigkeit war erfolgreich

Österreich verzichtet in keiner Weise auf seine Schutzrolle für Südtiroler Landsleute.

Reinhard Olt, langjähriger Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Wien, vermutet in seinem Gastkommentar („Presse“ vom 8. 10.) eine Kehrtwende Österreichs Südtirolpolitik. Olt ist ein ausgewiesener Fachmann und bewährter Freund Österreichs. Er hat daher eine Antwort verdient, wenn man einmal nicht seiner Meinung ist!

Seine zwei Kernsätze sind: Wien verzichte auf das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol, wenn es vermeine, dass die Südtirol-Autonomie dieses Selbstbestimmungsrecht quasi verwirkliche. Österreich verzichte damit auf seine Schutzmachtrolle. Seine Beweise: ein Brief des Außenministers und eine Entschließung des Nationalrats im Juli 2015.

Ich teile diese Schlussfolgerungen nicht! Brief und Entschließung setzen geradlinig die erfolgreiche Südtirol-Politik Österreichs fort. Zur Selbstbestimmung hat Österreich immer vertreten, dass dieses Recht auf dem Völkerrecht beruhe, im konkreten Fall dem Volk der Südtiroler zustehe, unverzichtbar sei, und Österreich daher nicht für die Südtiroler darauf verzichten oder es in Anspruch nehmen könne.

Weder ein Brief von Sebastian Kurz noch eine Entschließung können daran auch nur kratzen. Die Südtirol-Autonomie wurde seit ihrer Begründung im Gruber-Degasperi-Abkommen 1947 schrittweise im zähen und manchmal schmerzlichen Kampf mit Rom erweitert und ausgebaut. Sie kann das Recht auf Selbstbestimmung nicht ersetzen oder beenden.

Das Recht der Vertreter

Die Formel des Außenministers und des Nationalrats, dass diese Autonomie eine gelungene Form der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts sei, trifft zu, nimmt aber nicht den Südtirolern ihr Recht. Solange Italien die Autonomie respektiert und sogar noch ausbaut, besteht kein Grund, die Verwirklichung dieses Rechts in anderer Form zu verlangen. Als letztes Mittel kann das Südtiroler Volk immer darauf zugreifen – das ist aber ausschließlich ein Recht der gewählten Vertreter Südtirols.

Sonderstellung Südtirols

Inhaltlich wurde die Autonomie zuletzt durch mehrere Schritte gefestigt und sogar erweitert. In den Bemühungen der italienischen Regierung um eine Verfassungsreform blieb nach Kampf die Sonderstellung Südtirols gewahrt. Südtirol wurde nicht über einen Kamm mit den anderen Provinzen und Regionen Italiens geschoren.

Konkret ausgebaut wurde die Finanzautonomie. Die Frage, wie viele Mittel Rom Bozen zur Verfügung stellen muss, ist bisher nicht von der Autonomie und dem Gruber-Degasperi-Abkommen erfasst gewesen. Alle Landeshauptleute – von Silvius Magnago, Luis Durnwalder bis zu Arno Kompatscher – wussten das, haben darüber jahrzehntelang mit Rom verhandelt und um eine Garantie gerungen. Sie haben sie jetzt erhalten und sind zufrieden.

Österreich ist besonders zufrieden, zumal Italien sein Pactum mit den Südtirolern Wien offiziell mitgeteilt und es damit zur internationalen Verankerung der Autonomie dazugenommen hat: großzügig, und ein großer Schritt zum Ausbau der Schutzrolle Österreichs für seine Südtiroler Landsleute.

Von einem Verzicht auf diese Rolle Österreichs (wir verzichten schon lang auf das martialische Wort Schutzmacht) kann daher keine Rede sein, sondern von einem stetigen Ausbau im Geist der europäischen Solidarität und guten Nachbarschaft. Wenn Reinhard Olt meint, viele Südtiroler blickten neidisch nach Schottland und Spanien, glaube ich eher, dass viele Schotten und Katalanen neidisch nach Südtirol schauen. Es ist und bleibt ein europäisches Modell.

Univ.Prof. Dr. Andreas Khol, war Mitglied des Nationalrats und an der Neuordnung der Südtirol-Autonomie (Paket) und deren internationaler Verankerung 1993 beteiligt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)

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