Ein Gesamtkonzept gegen die neue Völkerwanderung

Abgeriegelte Grenzen werden Flüchtlingsansturm nicht aufhalten.

Es ist eindrucksvoll, mit welcher Standfestigkeit die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, an ihrer bisherigen Flüchtlingspolitik festhält. Dies gerade auch angesichts der Tatsache, dass sich inzwischen auch parteiintern heftige Gegenwehr gegen den von ihr noch immer als „unbeschränkt“ bezeichneten Einwanderungskurs regt.

Viel ist zu diesem Thema bereits gesagt und geschrieben worden: Die Befürworter betonen die Willkommenskultur und die Bereicherung Europas durch die Zuzügler; die Kritiker der offenen Türen für die Flüchtlinge warnen vor der Gefahr einer Überfremdung Europas, der nur mit einer strikten Asylpolitik bis hin zur Schließung der Grenzen zu begegnen sei. Hier ein paar grundsätzliche Gedanken zur Flüchtlingsfrage:

Der Ansturm der Flüchtlinge ist ein Faktum, dem mit einer Schließung der Grenzen nicht zu begegnen ist. Daher ist es erforderlich, kurzfristig Unterkünfte in ausreichender Kapazität zur Verfügung zu stellen, um den laufenden Zuzug von mehreren tausend Menschen täglich mit Anstand zu bewältigen. Es ist auch keine Zeit mehr, über allfällige Möglichkeiten und die Aufnahmebereitschaft von Ländern und Gemeinden zu diskutieren. Angesagt sind rasches Handeln durch Adaptierung freistehender Gebäude, die Schaffung von Containerdörfern und Errichtung fester Unterkünfte.

Gewaltexzesse vermeiden

Hand in Hand sind tragfähige Regeln für die Flüchtlinge zu erlassen, um Übergriffe und Gewaltexzesse zu vermeiden. Diese Frage blieb bisher völlig unbeachtet, obwohl sie bei Unterbringung von so vielen Menschen auf engem Raum von größter Bedeutung ist. Dazu bedarf es externer und interner Kommunikation, der Wahl von Sprechern, medizinischer Versorgung und kurzfristiger Schaffung von Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten, da es sich beim Großteil der Flüchtlinge um Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren handelt, bei denen sich bei mangelnder Beschäftigung ein entsprechender Aggressionsstau aufbaut.

Transformation der Kultur

Parallel zu diesen internen Maßnahmen sind, wie Merkel richtig anführt, Investitionen in sicheren Ländern zu tätigen, um den weiteren Zuzug aus der Türkei, wo derzeit über zwei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern untergebracht sind, zu unterbinden.

Zur Quotenregelung ist anzumerken, dass jenen Staaten, die keine oder nur geringe Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen haben, klar gesagt werden muss, dass die Mitgliedschaft bei der EU nicht nur im Handaufhalten für Subventionen, sondern auch in Solidarität besteht. Insgesamt handelt es sich um eine neue Völkerwanderung, die eine Transformation der Kultur in Europa bewirken wird.

Dieser Transformation mit Angst zu begegnen, wie dies von populistischen Parteien gern geübt wird, wird die Probleme nicht lösen helfen.

Noch fehlt ein Gesamtkonzept zur Bewältigung der neuen Migration, in dem besonderer Wert auf die Vermittlung der nationalen Sprache des aufnehmenden Landes und dessen Kultur zu legen sein wird. Nur dann kann eine Integration dieser Menschen mittel- bis langfristig gelingen.

Die europäischen Politiker werden gut daran tun, das Kollabieren weiterer Staaten in der Nachbarschaft durch eine entsprechende Außenpolitik zu verhindern; der Sturz von Saddam Hussein und Gaddafi hat keine demokratischen Verhältnisse, sondern nur noch mehr Chaos und Blutvergießen verursacht. Das Ergebnis ist die neue Völkerwanderung, der sich Angela Merkel derzeit noch mit viel Mut und Ausdauer stellt.

Dr. Johannes Sääf (geboren 1951) ist Hochschuldozent für Europarecht und Staateninsolvenz sowie Unternehmensberater in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2015)

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