Das Ende einer besonderen Beziehung?

Barack Obama verkörpert das Schreckgespenst eines Weißen Hauses, das mit dem jüdischen Staat weder durch emotionale Bindung noch durch gemeinsame Interessen verbunden ist.

Der jüngste Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Washington unterstrich die fundamentalen Differenzen zwischen der gegenwärtigen israelischen Regierung und Präsident Barack Obamas Administration. Netanjahu stellt Obamas Vernarrtheit in eine Zweistaatenlösung zur Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts hartnäckig in Frage. Überdies weigert er sich, den in Obamas Augen bestehenden Zusammenhang zwischen einem israelisch-palästinensischen Frieden und seinen Möglichkeiten zur Eindämmung der atomaren Ambitionen des Iran anzuerkennen.

Auch über die Zögerlichkeit Obamas hinsichtlich einer Fristsetzung für die Gespräche mit dem Iran ist Netanjahu nicht sonderlich glücklich. Die Israelis glauben, dass sich der Iran mit Riesenschritten in Richtung Atommacht bewegt und die Aussichten auf Gespräche mit den USA raffiniert ausnutzen wird, um noch härteren Sanktionen oder einem Militärschlag zuvorzukommen.

Krisen und grundlegende Auffassungsunterschiede sind in den Beziehungen dieser beiden ungleichen Verbündeten nichts Neues. Aber so fundamental die gegenwärtigen Differenzen auch sein mögen, die größten Sorgen bereitet den Israelis dennoch der Verdacht, Obama würde dazu neigen, Amerikas einzigartige Beziehung zum jüdischen Staat zu verändern.

Ein Phänomen der US-Geschichte

Die treibenden Kräfte hinter der vielleicht faszinierendsten Allianz auf internationaler Ebene sind gemeinsame Interessen und eine tief empfundene emotionale Haltung gegenüber der Geschichte Israels und dem Schicksal der Juden seit dem Holocaust. Tatsächlich gibt es viele Gründe für das beständige Engagement Amerikas für Israel und für die außerordentlich heftige Resonanz, die die Sache Israels in den USA findet.

Seit Harry Truman, dem ersten Politiker von Weltgeltung, der Israel im Jahr 1948 anerkannte (gegen den Rat des damaligen Außenministers George C. Marshall), haben sämtliche amerikanischen Präsidenten in unterschiedlichem Ausmaß entweder den emotionalen oder den realpolitischen Aspekt der Beziehung verkörpert – manche vertraten beide. Heute besteht der Verdacht, dass Barack Obama sich weder dem einen noch dem anderen Aspekt verpflichtet fühlt.

Obama ist ein revolutionäres Phänomen der amerikanischen Geschichte, und er passt gewiss nicht in das traditionelle Muster amerikanischer Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern wurde er viel weniger von religiösen oder biblischen Lehren geprägt. Die jüdische Geschichte und Israels heroische Erstehung aus der Asche des Holocaust sind nicht Obamas primäres Leitmotiv, wenn es um seine Haltung gegenüber dem arabisch-israelischen Konflikt geht. Die palästinensische Tragödie ist für die Definition von Obamas Nahostposition gewiss nicht weniger zentral.

Keine emotionale Bindung zu Israel

Aber selbst wenn eine US-Regierung keine emotionale Bindung zu Israel zum Ausdruck brachte, so hat man die Sache Israels trotzdem unterstützt, vorausgesetzt, dieser Ansatz konnte mit realpolitischen Überlegungen in Einklang gebracht werden. Das war bei Richard Nixon klar der Fall. Er zeichnete sich nie durch übermäßige Liebe zu den Juden aus, war aber einer der treuesten Verbündeten, die Israel im Weißen Haus jemals hatte.

Ohne diese gefühlsmäßige Bindung zu Israel und verstört von dessen Politik in den besetzten Gebieten, verkörpert Obama das Schreckgespenst eines Weißen Hauses, das mit dem jüdischen Staat weder durch emotionale Bindung noch durch gemeinsame Interessen verbunden ist.

Die Stoßrichtung der Nahostpolitik Obamas – nämlich die Aussöhnung Amerikas mit der arabischen und muslimischen Welt – kollidiert mit der Strategie Netanjahus. Denn Obama geht in seiner Politik davon aus, dass die beste Möglichkeit, den Herausforderungen des islamischen Terrorismus zu begegnen und den Niedergang der Region in unkontrollierte nukleare Weiterverbreitung zu stoppen, darin besteht, Israel zu zwingen, keine neue Siedlungen mehr zu bauen, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, um die Schaffung eines palästinensischen States mit der Hauptstadt Ostjerusalem zu ermöglichen, sowie durch die Rückgabe der Golanhöhen Frieden mit Syrien zu schließen.

Das heißt allerdings nicht unbedingt, dass wir das Ende der „besonderen Beziehung“ zwischen den USA und Israel beobachten. Selbst ein revolutionärer Präsident wird sich nicht von den wichtigsten Verpflichtungen Amerikas gegenüber Israel verabschieden, das um sinnvolle und moralisch zu rechtfertigende Positionen kämpft.

Bislang hat sich Obama gehütet, von den traditionellen amerikanischen Positionen hinsichtlich der Sicherheit Israels abzuweichen. Er akzeptiert die Logik des speziellen atomaren Status Israels und seiner Position als Großempfänger amerikanischer Militärhilfe. Außerdem bleibt der Wahrer der israelischen Interessen, der amerikanische Kongress, wachsam.

Reale Grenzen definieren

Netanjahu weiß, dass die schwierige Aufgabe der Aufrechterhaltung der Beziehung zwischen Israel und den USA ebenso eine lebensnotwendige strategische Notwendigkeit wie auch eine zwingende innenpolitische Voraussetzung ist. Eine größere Übereinstimmung könnte erzielt werden, wenn er beschließt, Israels reale und nicht seine ideologischen Grenzen zu definieren.

Netanjahu ist von einer beinahe messianischen Entschlossenheit getrieben, den Iran daran zu hindern, sich die technischen Möglichkeiten zur Zerstörung Israels anzueignen. Aus diesem Grund könnte er einer grundlegenden Änderung seiner Haltung gegenüber Palästina offener gegenüberstehen, vorausgesetzt Obama erzielt sichtbare Fortschritte bei der Beendigung des iranischen Atomprogramms. Aus der Sicht Netanjahus würde eine Lösung des palästinensischen Problems noch kein Ende der Herausforderung durch den Iran bedeuten. Vielmehr würde die Neutralisierung dieser existenziellen Bedrohung den Weg für die Schaffung eines palästinensischen Staates ebnen.

Keine Einbahnstraße

Netanjahu weiß überdies, dass die Fehlschläge auf arabischer Seite den radikalen Zionismus fördern. John Kerry, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, meinte, dass „dieser Friedensprozess keine Einbahnstraße“ sei und Israel nicht allein die Lasten tragen könne. Es bleibt abzuwarten, ob die abgrundtief dysfunktionale arabische Welt und die mächtigen nichtstaatlichen Akteure wie Hamas und Hisbollah so reagieren, wie Obama sich das erwartet.

Noch wichtiger wäre, dass sich die palästinensische Führung neu formiert und ihr Gemeinwesen wieder vereint, um den Herausforderungen der Eigenstaatlichkeit gewachsen zu sein. Bislang scheint die Aufgabe einer Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah nicht weniger schwierig zu sein, als mit Israel ein Friedensabkommen zu schließen.

Shlomo Ben-Ami ist ehemaliger israelischer Außenminister und gegenwärtig Vizepräsident des Toledo International Centre for Peace. Er ist Autor von „Scars of War, Wounds of Peace: The Israeli-Arab Tragedy.“
©Project Syndicate, 2009.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.