Blick durchs Schlüsselloch auf Literaturgiganten

Ulrich Weinzierls Buch über Stefan Zweig – oder: Die Lust am Tabubruch.

Ulrich Weinzierl ist in Österreich nicht weltberühmt, obwohl er als Journalist alle Meriten hat, die man in diesem Beruf mit seriöser Arbeit erwerben kann. Dennoch sei sein neuestes Buch nicht unkommentiert. Er war, was über ihn vorausgeschickt sei, Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und ist Mitarbeiter der Tageszeitung „Die Welt“. Erwähnt sei auch, dass ich ihn als Schreiber immer geschätzt habe – was aber nicht für seine neueste Buchstabenerrungenschaft, nämlich „Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“ aus dem Wiener Zsolnay Verlag gilt.

Ich weiß, dass meine Auseinandersetzung mit dem – vom Verlag als intimes Charakterporträt bezeichneten – Band Weinzierl mehr nützt als schadet, wobei ich ihm nicht den geringsten Schaden zufügen will. Freilich will ich auch den Verkauf des Buchs nicht wirklich unterstützen. Denn eigentlich kann es nicht angehen, dass ein Gigant der österreichischen Literatur so nebenbei und ohne Notwendigkeit offensichtlich angepatzt wird.

Meiner Meinung nach hat der Jude Stefan Zweig, der sich in seiner Verzweiflung im Jahr 1942 – auf der Flucht vor den Nationalsozialisten – in Petropolis bei Rio de Janeiro das Leben genommen hat, vor seinem Ende genug gelitten. Er hätte sich sonst wohl nicht umbringen müssen.

Taktloser Detektiv

Und jetzt das. Stefan Zweig, der sich nicht wehren kann, wird vorgeführt. Ulrich Weinzierl fragt sich, ob der Verfasser der Novelle „Verwirrung der Gefühle“ ein gar verkappter Homosexueller war und ein brennendes Geheimnis gehütet habe. Der weltberühmteste deutsche (!) Schriftsteller der jüngst vergangenen Zeit, wie ihn Thomas Mann im Jahr 1954 in einem Brief bezeichnet hat, soll . . . Exhibitionist gewesen sein. Soll seine Genitalien mit Angstlust im Liechtenstein- und Schönbrunner Park entblößt haben. Fassbare Beweise liefert Weinzierl nicht. Der Rezensent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ meint sogar, Detektiv Weinzierl verfahre nicht eben besonders taktvoll.

Fragwürdige Indizien

In der „Presse“ hat der Rezensent eine „Sternstunde der Niedertracht“ („Spectrum“, 18. September) konstatiert und gleichsam die Hoffnung ausgedrückt, das Weinzierl-Buch möge eine Debatte auslösen. Ich darf mich den Kritikern in aller Demut anschließen.

Für mich hat das Buch eher den Reiz des Schmuddeligen – und ich würde solche Abhandlungen eher in irgendwelchen Blättern vermuten, die krampfhaft nach ihrer Auflage schielen. Es gibt solche sogar in Wien . . .

Auch ein Ulrich Weinzierl sollte sich – neben aller berechtigten journalistischen Neugier – dem Audiatur-et-altera-pars-Begriff verpflichtet fühlen, und Zweig kann nicht mehr gehört werden. Die wenigen fragwürdigen Indizien, die im Buch als Belegstellen aufscheinen, Zitate aus Zweigs Werken, sind für solche Anschuldigungen jedenfalls viel zu dürftig.

Und so erweckt das ganze Projekt den Anschein eines sensationslüsternen Schlüssellochjournalismus, vor dem uns Michael Krüger mit Sicherheit bewahrt hätte, wäre er heute noch immer der oberste Chef des Zsolnay-Verlags. Die Tabus, die hier gebrochen werden, bringen weder den Leserinnen und Lesern noch der Literaturgeschichte irgendetwas. Auf gut Deutsch also: Sie bringen nichts.

Ich weiß nicht, welchen Pegasus Ulrich Weinzierl geritten hat, als er dem Material für diesen Band nachspürte. Ich hoffe aber, dass er selbst kein brennendes Geheimnis hat.

Janko Ferk ist Schriftsteller, Jurist und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Univerza v Celovcu. Demnächst erscheint seine Essaysammlung „Bauer Bernhard, Beamter Kafka. Dichter und ihre Zivilberufe“ im Styria-Verlag, Wien/Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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