Der Siegeszug der illiberalen Parteien durch Europa

Gastkommentar. Nur eine Korrektur der Flüchtlingspolitik kann Demagogen stoppen.

Budapest gibt es noch in Warschau“, verkündete Jarosław Kaczyński zuversichtlich am Abend des Wahldebakels seiner Partei vor vier Jahren. Wie eine Prophezeiung hört sich heute seine damalige Aussage an, nachdem seine Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) jüngst einen haushohen Sieg bei der polnischen Parlamentswahl eingefahren hat. PiS kann mit einer absoluten Mehrheit in einem der bevölkerungsreichsten Länder Europas regieren.

Jarosław Kaczyński wünscht sich ein illiberales System in Polen, wie Viktor Orbán in Ungarn bereits eines geschaffen hat. Das derzeitige politische Klima in Europa ist dabei sehr günstig für die Realisierung seiner Pläne.

Der Wahltermin im Oktober hätte für die PiS auf keinen günstigeren Moment fallen können. Inmitten des größten Flüchtlingsstroms nach Europa seit dem Zweiten Weltkrieg waren 30 Millionen Polen zu den Urnen gerufen, wobei im Wahlkampf die Debatte über die Flüchtlingsproblematik von Tönen auf unterstem Niveau charakterisiert war.

Erstklassige Demagogie blieb Polen nicht erspart. PiS-Chef Kaczyński stellte Flüchtende teilweise als Träger von „Parasiten und Bakterien“ dar, Muslime beschuldigte er, „Sharia-Zonen“ in Europa errichten zu wollen. Die von Deutschland und der Europäischen Union beabsichtigte Aufnahme von Flüchtlingen lehnte er mit der Erklärung ab, dass es in Schweden bereits derart viele Muslime gebe, dass dort die Nationalflagge nicht mehr gehisst werden könne.

Europäisches Missmanagement

Auch wenn Kaczyńskis Vorwürfe für viele EU-Bürger absurd klingen mögen, können Hetze, Angstmacherei und Demagogie in Krisenzeiten als politische Waffe durchaus effektiv eingesetzt werden. Fruchtbaren Boden par excellence bietet dafür das seit Monaten andauernde europäische Missmanagement in der aktuellen Flüchtlingsfrage. Die Impotenz der europäischen – vor allem deutschen – Führung, wirksame Lösungen für die Krise zu liefern, spielt nationalistischen und rechtsextremen Kräften in die Hände. Illiberale, EU-skeptische Strömungen sind zu den größten Profiteuren der Flüchtlingskrise geworden.

Wachsender Zuspruch

Der Rückhalt für die mit Demagogie, Intoleranz und teilweise Hass operierenden Parteien wächst rasant, die Popularitätswerte von AfD, FPÖ, Fidesz, HDZ, DF zeigen seit Monaten nach oben. Durch den zunehmenden Zuspruch zu den Illiberalen ist mittlerweile der soziale Zusammenhalt Europas gefährdet. Ein Grund für die EU, über ihre Flüchtlingspolitik nachzudenken? Ja, sehr wohl.

Sollten Angela Merkel und die EU-Führung nicht in der Lage sein, eine Lösung für die aktuelle Flüchtlingssituation zu finden, könnte die EU schon bald ein Sammelplatz illiberaler Regierungen sein. Das würde wohl auch das Ende des seit über 50 Jahre existierenden friedlichen und erfolgreichen Projektes bedeuten. Je später eine effektive Antwort auf die Flüchtlingskrise erfolgt, desto schwieriger wird die Umsetzung. Je länger sich die Korrektur der deutschen „Willkommenskultur“ verzögert, desto mehr wird sich die Idee des Illiberalismus in der EU verbreiten.

Zwar ahnte Kaczyński vor vier Jahren nicht, dass die politische Atmosphäre 2015 so günstig sein würde, um aus einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik politisches Kapital schlagen zu können. Für die deutsche Bundeskanzlerin und die EU-Führung sollte das ein weiteres Alarmsignal sein, in der Flüchtlingsfrage rasch zu handeln, damit der Illiberalismus nicht noch in weiteren Hauptstädten Europas an die Macht kommt.

Balazs Csekö (geboren 1986) studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Der gebürtige Ungar lebt und arbeitet
als freier Journalist in Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)

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