Europas Scheckbuchpolitik

Mit finanziellen Zusagen an afrikanische Länder und die Türkei glauben die EU-Staaten, die Migrationsfrage lösen zu können.

Europa hetzt von einem Migrations-Gipfeltreffen zum nächsten. Dabei werden milliardenschwere Zusagen an undemokratische Staaten für fragwürdige Maßnahmen gemacht. Vergangene Woche fand in Valletta der EU-Afrika-Migrationsgipfel statt. Die Staats- und Regierungschefs der EU sowie von über 30 afrikanischen Staaten einigten sich auf zusätzliche Hilfen, verstärkte Zusammenarbeit beim Thema Rückkehr sowie eine bessere Ausrichtung von Entwicklungszusammenarbeit und Investitionen in Afrika. Neues und innovative Ansätze fehlten.

Der medial groß verkaufte Afrika-Treuhandfonds erweist sich als Mogelpackung: Dieser ist zwar mit 1,8 Milliarden Euro aus dem EU-Budget ausgestattet, es sind jedoch bereits budgetierte Mittel. Die EU-Mitglieder wollen diesen Betrag zwar auf 3,6 Milliarden verdoppeln. Fix zugesagt wurden vorerst aber nur bescheidene 78,2 Millionen; ganze drei Millionen Euro stammen dabei aus Österreich.

Wer glaubt, mit ein bisschen Umschichtung im Budget und weiteren unnötigen Gipfeltreffen die Migrationsproblematik auch nur im Ansatz lösen zu können, hat seinen Beruf verfehlt. Um die tatsächlichen Fragen hat man sich erneut gedrückt. Nach Jahrzehnten durchaus ambitionierter EU-Entwicklungspolitik sollte man sich eingestehen, dass man gescheitert ist.

Erdoğan will drei Milliarden

Die Ankündigung, das autokratische Eritrea mit 200 Millionen aus dem Treuhandfonds zu alimentieren, ist schlicht menschenverachtend. Glaubt man wirklich, Fluchtursachen dadurch aus der Welt zu schaffen, indem man dem Verursacher ein bisschen Wirtschaftshilfe zukommen lässt? Die vorgesehenen Budget-Haushaltshilfen werden das Regime in Asmara festigen.

Gleich im Anschluss an das Afrika-Treffen beriet die EU auf einem weiteren internen Gipfel über den Stand der Gespräche mit der Türkei. Auch hier will man irgendeinen Migrations-Aktionsplan vereinbaren. Als ersten Schritt wird dafür der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, zu einem eigenen EU-Türkei-Gipfel eingeladen.

Dieser soll voraussichtlich Ende November oder Anfang Dezember stattfinden. Sowohl der EU wie auch Erdoğan ist daran gelegen, den Gipfel möglichst rasch stattfinden zu lassen. Europas Besorgnis angesichts anhaltender Flüchtlingsströme aus der Türkei über die Balkanroute halten an.

Erdoğan seinerseits möchte ein weiteres Mal auf der großen europäischen Bühne gebührend hofiert werden. Wobei der türkische Präsident mit klaren Forderungen und Vorstellungen anreist: Für die nächsten beiden Jahre drei Milliarden Euro als Unterstützung für die Flüchtlingsbetreuung. „Betreuung“ heißt in diesem Zusammenhang übrigens Verhinderung der Weiterreise nach Europa.

Woher das Geld dafür kommt, ist wieder einmal unklar: Eine halbe Milliarde Euro aus dem EU-Budget. Der Rest von den Mitgliedstaaten. Für Österreich wären das in etwa 57 Millionen.

Ob und warum es Sinn hat, der Türkei massive finanzielle Unterstützung zur Migrationsverhinderung zu geben, wird nicht diskutiert. Lieber betreibt man ein bisschen Scheckbuchpolitik. Darin ist man geübt. Das hat man immer schon so gemacht.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen. Er lehrt
an der Universität Salzburg. Im Frühjahr ist sein Buch „Die Auslagerung des EU-Grenzregimes“ erschienen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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