Warum mit den Grünen schwer zu regieren ist

Die Grünen haben keine kompakte Basis. Daher ist ihre Politik auch zwangsläufig so sprunghaft, inkonsistent, unkalkulierbar, kurzfristig orientiert – und ohne jede Verantwortung für das, was man gestern noch realisiert hat.

Noch vor einigen Jahren waren viele Sozialdemokraten überzeugt, dass eine Zusammenarbeit von Rot und Grün für die Gesellschaft, die Entwicklung der Demokratie und die ärmeren Leute Sinn hat. Mittlerweile ist das nicht mehr so.

Die Grünen haben keine kompakte soziale Basis. Das ist ihr Hauptproblem. Da sie diese nicht haben, gibt es auch keine klare ökonomische und soziale Interessenslage, die die großen Linien ihres Handelns bestimmen würde.

Nicht real Gemeinsames verbindet Holzschuhfundis und Solar-Swimmingpoolheizer, höhere Töchter und frustrierte Trotzkisten, Einpersonenunternehmer und Professorinnen. Daher ist ihre Politik zwangsläufig sprunghaft, inkonsistent, unkalkulierbar, kurzfristig orientiert und ohne jede Verantwortung für das, was man gestern noch realisiert hat. Sie gehören in den großen Kontroversen um unser aller Zukunft weder nach rechts noch nach links, und man kann sich auf sie nicht wirklich verlassen.

Diametrale Interessenslagen

Sie knebeln mühsam zwei Gruppen aneinander, deren Interessenslagen und Lebenssituationen einander diametral gegenüberstehen: Ein Teil sind Linke, die (noch immer) die Interessen sozial Schwacher und die Wichtigkeit des Gleichheitsprinzips sehen; die anderen haben primär die Verteidigung von Nischenprivilegien, staatliche Förderungen und die Lösung von Luxusproblemen im Sinn.

Die einen brauchen den Sozialstaat als Garanten, die anderen sind neoliberal gegen jegliche staatliche „Bevormundung“. Linksliberal sind sie beide nicht. Die einen erkennen, dass Unterschichtangehörige Angst haben, die anderen verurteilen sie darob wegen Herzlosigkeit. Die einen wollen Arbeitsplätze, für die anderen dürfen sie aber keinen Lärm machen und nicht an ihr Wohngebiet grenzen. Die einen wollen mit den Leuten darüber reden, dass Zuwanderer nicht so schlecht sind, die anderen mit den Zuwanderern darüber, wie schlecht die Leute sind.

Gerade weil sie kein Klasseninteresse repräsentieren, sind die Grünen ausschließlich auf Überbauthemen zurückgeworfen. Diese sind zwar auch nicht unwichtig, das Wesentliche für den Gang der Geschichte ist und bleibt aber doch die reale Welt: Einkommen, Wohnen, Arbeit, soziale Sicherheit und deren Verteilung – und da haben sie keine konsistenten Linien, sind in sich so widersprüchlich wie ihre Mitglieder und Wähler.

Daher sind sie so still zur Lohngerechtigkeit, daher weinen sie den Grashalmen unter den Gemeindebauten nach, daher ist voraussetzungsloses Grundeinkommen wichtiger als anständige Entlohnung der Arbeit. Die Flucht in Ringstraßenaktionismus, Polit-Spaß-Themen, Begegnungszonen und in Fragen, die das Leben derer, die eine Verbesserung brauchten, in keiner Weise berühren, ist die Folge. Hier geraten ihre beiden Flügel intern nicht aneinander.

Geht immer um Gut und Böse

Mit solchen Themen macht man sich es auch leicht: Man muss nicht argumentieren, man kann so wohlig beim Fühlen und Glauben bleiben. Somit ist Moral und nicht politische Ökonomie Handlungsanleitung grüner Politik. Für sie geht es immer um Gut und Böse, nie um Haben oder Nichthaben. Wenn eine gesellschaftliche Gruppe etwas will, weil sie es braucht, wird nicht die Berechtigung des Wunsches geprüft, nicht ihr Recht darauf, sondern die Frage, ob das denn nicht doch möglicherweise jemand anderem ein bissl wehtut – und wenn ja, ist man dagegen. Das mag in Ordnung sein für eine Sekte, einen Salon oder einen Debattierklub – aber weitaus zu wenig für eine nachhaltige, starke, effektive politische und soziale Kraft.

Eine historische Partei definiert sich durch eine langfristige Linie, die den Interessen ihrer Basis entspricht. Bei den Grünen ist die einzige derartige Linie die Ökologie. Aber dazu hört man von ihnen schon lang nicht mehr Relevantes als von anderen Parteien. Die Grünen sind daher inhaltlich keine Partei (mehr), sondern eine Wahl-Zweckgemeinschaft.

Und danach setzen sie die Themen: willkürlich, eklektizistisch, nach vermeintlichen „quick wins“ in den Medien, abhängig vom Hobby einzelner Entscheidungsträger, vorgegeben von Spin-Doktoren. Eine Partei definiert sich durch eine einigermaßen homogene personelle Mitgliederstruktur. Diese haben die Grünen nicht. Nicht nur ihre Mehrheiten bei diversen Kongressen sind zufällig, auch die Zusammensetzung ihrer „Basis“ ist es – ja in Wirklichkeit gibt es keine Basis. Sie ist bei den Grünen virtuell, Autoren, Kommentatoren, die veröffentlichte Meinung, Medien und ein Teil der dort Tätigen.

Schrille Außenauftritte

Ohne Zeitung und Rundfunk gäbe es die Grünen gar nicht. Damit ist die Gruppe aber darauf angewiesen, Medien ständig mit Neuem, mit noch Schrillerem, mit Emotionen oder Kopfjagden zu füttern, denn das trifft das Verwertungsinteresse derer, die dort tätig sind.

Das Schrille, das notwendiger Bestandteil grüner Außenauftritte ist, hat aber zwei fatale Folgen: Die eine ist, dass dies viele Menschen verschreckt und verängstigt. Es mag unbegründeter Schrecken sein, aber unbenutzbare Innenstadtstraßen, Drogenliberalisierung und militantes Bekämpfen dessen, was die Rechtsordnung sichert, machen nun einmal Unbehagen. Und provozieren als ebenso falsche wie naheliegende Reaktion die Flucht der Ängstlichen nach rechts. So treibt man Rechtspopulisten wirksam die Stimmen zu.

Traditionelles Parteiverhalten

Zweite Folge ist, dass für Selbstprofilierer der Partei die Berichterstattung alles ist, etwaige Kollateralschäden aber nichts. Wo es möglich ist, eine Person mit öffentlicher Funktion aufs Korn zu nehmen und medial zu richten, ist man sofort dabei, ja initiiert dies sogar. Dabei wird persönliche Diffamierung, Rufmord und Hetze nicht gescheut. Und wenn sich ein Opfer dann erfolgreich bei Gericht gewehrt hat, wird zynisch reagiert: Okay, war es halt nicht wahr, aber er/sie ist wenigstens weg . . . Damit streifen die Grünen gefährlich nahe an Grundrechtsverletzungen an, die nicht nur der Staat, sondern auch mächtige soziale Institutionen nicht begehen sollen.

Bei all dem sind die Grünen auch noch alt geworden und zeigen traditionellstes Parteiverhalten: Rechtfertigungen in gewundenen Schachtelsätzen; ein Postekarussell immer derselben kleinen Clique – erst im Nationalrat, dann nahtlos im Gemeinderat, Landesregierungsmitglied, Ombudperson oder sonst etwas Einträgliches; Sesselklebertum – und alles, bloß nicht zurücktreten; eine frappante Beratungs- und Lernresistenz der Parteioligarchie; simpler Postenproporz bis hinein in Kulturjurien; und wachsende Hochnäsigkeit – Mails an Vizebürgermeisterinnen werden einfach nicht beantwortet.

Man kann diese Grünen also als Linker abschreiben. Leider, denn immer noch meinen viele, dass die Gesellschaft jedes fortschrittliche Element, jede Veränderungskraft, jede Politisierung und damit auch jede wirkliche Partei brauchen könnte. Partei, wohlgemerkt, nicht Partie und nicht Party.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Manfred Matzka
(*1950) ist Jurist und Beamter. In der SPÖ am linken Flügel stark engagiert; publizierte zu Sozialdemokratie, Verfassung, Staat und Verwaltung und historischen Themen. Beruflich lange Jahre im Verfassungsdienst, dann im Innenministerium/Flüchtlingswesen. Dzt. Leiter des Präsidiums im Bundeskanzleramt; geht mit Jahresende in die Pension. [ BKA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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