Kampf gegen den Terror – gemeinsam mit Putin?

Angesichts der Bedrohung durch den IS scheint eine Wiederannäherung zwischen Russland und dem Westen möglich.

Der russische Präsident, Wladimir Putin, hat geschworen, die Täter, die im Oktober über Ägypten mit einer selbst gebastelten Bombe ein russisches Passagierflugzeug zum Absturz gebracht und dabei 224 Menschen getötet haben, „zu finden und zu bestrafen“.

Der Zeitpunkt dieser Ankündigung nur Tage, nachdem Terroristen mit Kalaschnikows und als Selbstmordattentäter mit Bomben in Paris 130 Menschen ermordet haben, ist kein Zufall. Putin meint, einen Zugang zum Westen erkannt zu haben – und ihn möchte er nutzen. Der Westen sollte ihm diese Tür nicht versperren.

Wochenlang schien die russische Regierung zu zaudern, was eine angemessene Reaktion auf den Absturz wäre – so, als hätte sie Angst, man würde ihr wegen ihrer Entscheidung, im syrischen Bürgerkrieg zu intervenieren, die Schuld für die Toten geben. Das Blutbad in Frankreich jedoch hat diese Kalkulation völlig verändert. Es weist auf die Möglichkeit einer Wiederannäherung zwischen Russland und dem Westen hin – und beim heutigen Besuch des französischen Präsidenten, François Hollande, in Moskau soll ein Anfang gemacht werden.

Streitfreudiger Putin

Durch die Anschläge in Paris hat der Islamische Staat den Krieg in Syrien in einen globalen Konflikt verwandelt. Und wie Putins Auftritt beim G20-Gipfel in der Türkei gezeigt hat, ist Russland in einer zentralen Rolle fest in diesen Kampf eingebunden.

Es ist darauf hinzuweisen, dass ein feindseliges Verhältnis zum Westen nicht Bestandteil von Putins ursprünglichem Plan war. „Russland ist Teil der europäischen Kultur“, hatte Putin im Jahr 2000 kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten der BBC erklärt. „Ich kann mir mein Land nicht in Isolation von Europa und dem, was wir oft als die zivilisierte Welt bezeichnen, vorstellen. Es fällt mir schwer, die Nato als Feind anzusehen.“

Erst 2002, nachdem die Nato Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien aufgenommen hatte, verschlechterten sich die Beziehungen. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair hat den Wendepunkt in seinen Memoiren so beschrieben: „Wladimir gelangte zu der Ansicht, dass die Amerikaner ihm nicht den ihm zustehenden Platz einräumen wollten.“

Putins Streitlust wurde später durch innenpolitische Gesichtspunkte – eine tiefe Rezession, die es nötig machte, den Ärger der Wähler umzulenken – und selbstempfundene Kränkungen insbesondere seitens der USA verstärkt. (Präsident Barack Obama bezeichnete Putin einmal als „das gelangweilte Kind auf der letzten Bank der Klasse“.) Doch erst mit der russischen Intervention in der Ukraine und der Annexion der Krim im März 2014 ging Putin offen auf Konfrontationskurs, wobei er Russland sogleich als Aggressionsopfer darzustellen versuchte.

„Der Westen hat uns immer wieder belogen, Entscheidungen hinter unserem Rücken getroffen und uns vor vollendete Tatsachen gestellt“, erklärte Putin in einer TV-Ansprache, nachdem ein zweifelhaftes Referendum auf der Krim Moskaus Kontrolle über die Region zementiert hatte. „Dies war bei der Nato-Osterweiterung der Fall und bei der Einrichtung militärischer Infrastruktur an unseren Grenzen.“

Putin scheint zudem auf Obamas Charakterisierung Russlands als einer „bloßen Regionalmacht“ reagiert zu haben, indem er nun versucht, die Fähigkeit des Kreml zum globalen Handeln unter Beweis zu stellen – insbesondere durch die Intervention in Syrien.

Ziel: Aufhebung der Sanktionen

Auf dem G20-Gipfel in der Türkei jedoch schlug Putin eine deutlich andere Tonart an und streckte dem Westen die offene Hand entgegen: „Wir haben eine Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung angeboten. Leider haben unsere Partner in den USA hierauf zunächst mit einer Ablehnung reagiert. (. . .) Aber jetzt scheint es mir, dass jedem klar wird, dass wir nur gemeinsam einen effektiven Kampf führen können. (. . .) Falls unsere Partner der Ansicht sind, dass die Zeit für einen Wandel in unseren Beziehungen gekommen ist, werden wir das begrüßen.“

Die Logik, die Putins Angebot zugrunde liegt ist klar. Russland hat sein Ziel in der Ukraine erreicht: einen festgefahrenen Konflikt, der dem Kreml eine kontinuierliche Rolle innerhalb der Politik der Ukraine beschert. Sein Ziel jetzt besteht darin, den Westen zur Aufhebung der Sanktionen zu bewegen. Analytiker bei Stratfor Global Intelligence interpretieren die Lage so: „Sofern der Kreml nicht zulassen will, dass in den nächsten Jahren viele russische Unternehmen pleitegehen oder größere Einschnitte in ihrem laufenden Betrieb oder künftigen Investitionen vornehmen müssen, muss Moskau die Europäer überzeugen, zumindest die schärfsten Sanktionen auslaufen zu lassen.“

Westen sollte Chance nützen

Die Anschläge in Paris haben Putin die Gelegenheit verschafft, seine Militäroperationen in Syrien als Dienst für den Westen zu präsentieren – ein Beispiel für die Bereitschaft Russlands, die schmutzige Arbeit eines Angriffs auf den Islamischen Staat in dessen eigenem Gebiet zu übernehmen. Und Putin macht bereits Zugeständnisse in der diplomatischen Sphäre.

Auf einem Treffen in Wien am Tag nach den Pariser Anschlägen scheinen Russland und die USA einige ihrer Meinungsverschiedenheiten über eine Beendigung des syrischen Bürgerkriegs beigelegt und sich auf einen Zeitrahmen geeinigt zu haben, demzufolge Anfang 2017 eine neue Regierung gewählt werden würde.

Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben plötzlich eine Menge Einflussmöglichkeiten auf den Kreml. Sie sollten sich nicht scheuen, das zu nutzen. Auch wenn sich der Westen mit der Aufhebung der Sanktionen nicht übermäßig beeilen dürfte – der Disput hinsichtlich der Krim wird sich kaum auf die Schnelle beilegen lassen –, ist es eine solide Strategie, dem Wunsch des Kremls, als globale Großmacht anerkannt zu werden, Rechnung zu tragen.

Russlands Rückkehr?

In den festgefahrenen Konflikt in der Ostukraine ließe sich Bewegung bringen, wenn Russland davon zu überzeugen ist, das Minsker Protokoll genau zu beachten, seine Truppen von der Grenze abzuziehen und zu helfen, dass örtliche Wahlen gemäß internationalen Standards abgehalten werden. Wenn Putin bereit ist, etwas guten Willen zu zeigen, indem er in der Ukraine-Frage kooperiert, sollte auch der Westen in Betracht ziehen, seinerseits einige kleine Konzessionen anzubieten.

Russlands Beteiligung im Kampf gegen den Islamischen Staat – und seine Rückkehr in die Reihen der die Regeln beachtenden internationalen Gemeinschaft – könnte den Preis wert sein.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2015.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN


Nina L. Chruschtschowa
(*1964) studierte an der Moskauer Staatsuniversität und dissertierte an der Universität Princeton. Sie ist die Enkelin des früheren Sowjetführers Nikita Chruschtschow. Derzeit ist sie Dekanin der New School und Senior Fellow am World Policy Institute, an dem sie das Russland-Projekt leitet. Ihr neues Buch: „Imagining Nabokov: Russia Between Art And Politics“. [ Project Syndicate ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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