Russlands Sorgen um die Energiepolitik der EU

Wir brauchen intelligente Entscheidungen auf dem Gasmarkt, um den Konsumenten kostengünstige Preise zu sichern.

Für viele Energieunternehmen war 2015 ein Jahr der Veränderung. Der rasante Fall des Ölpreises ist Anlass für Besorgnis innerhalb der Branche, während die Politik gleichzeitig ihre immer teureren Subventionsprogramme für erneuerbare Energien rechtfertigen muss.

Vor dem Hintergrund dieser Krise auf dem Energiemarkt trafen sich führende Politiker der Welt in Paris, um sich auf ein globales Klimaschutzabkommen zu einigen und damit die Emissionen auf ein nachhaltiges Niveau zu senken.

Märkte entwickeln sich ständig weiter, und Gazprom ist turbulente Zeiten durchaus gewohnt. Wir haben die Höhen und Tiefen des Erdgasmarktes der vergangenen 50 Jahre durchlebt und sind daher in der Lage, Marktentwicklungen zu antizipieren und nach neuen Wegen zum Kunden zu suchen. Gerade haben wir die erste Gasauktion in der Firmengeschichte gestartet, um drei Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Nordwesteuropa zu verkaufen.

Mit dem Test einer neuen Form des Gashandels sehen wir, welche Vorteile daraus für Käufer und Verkäufer entstehen. Die Botschaft ist einfach: Gemeinsam mit unseren Kunden sind wir am besten in der Lage, Markttrends zu erkennen und die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.

Selbstschädigende Politik

Vor diesem Hintergrund allerdings bereitet mir die Richtung, die derzeit in Europa eingeschlagen wird, Sorgen. Ich sehe eine echte Gefahr darin, dass Brüssel erneut eine Politik betreibt, die sich letztlich selbst schadet. Ein Beispiel ist die Kritik der Europäischen Kommission am Gazprom-Preismechanismus für Erdgas.

Dazu ist zu sagen: Unsere Preisformeln bestehen aus einem Grundpreis, der wiederum an eine Mischung aus Ölprodukten gekoppelt ist. Dieser Preismechanismus wird auch von vielen anderen europäischen Energieunternehmen verwendet. Der Gedanke der staatlichen Marktregulierung zieht sich durch diverse Brüsseler Ideen: so etwa die Schaffung eines Einkaufskartells für die Gasbeschaffung oder die Forcierung des Gashandels über Hubs, ohne vorher zu bedenken, ob es tatsächlich genügend Verkäufer und Käufer für einen echten Markt gibt. Einmal mehr höre ich nur: Staatliche Bürokratie soll es richten.

Die von uns praktizierte Koppelung des Gaspreises an den Preis von Ölprodukten hat in den vergangenen Jahrzehnten und trotz der stark schwankenden Ölpreise zu einem stabilen Preismechanismus geführt, erratische Preisänderungen verhindert und somit geholfen, Preisrisken für Käufer und Verkäufer zu vermeiden.

Aufgrund des niedrigen Ölpreises genießen unsere Kunden den günstigsten Gaspreis seit Jahren – und das ist auch für uns eine gute Nachricht. Denn durch die niedrigen Preise steigt die Nachfrage nach Erdgas in Europa an. Allein im Juli dieses Jahres haben wir rekordverdächtige 14,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa (inklusive der Türkei) verkauft

(zum Vergleich: Österreich verbrauchte im gesamten Vorjahr sieben Milliarden Kubikmeter, um 9,4 Prozent weniger als 2013, Anm. der Red.).

Die Ölpreisbindung bleibt dabei ein beliebter Preismechanismus, weil er allen Akteuren einen wirklichen Mehrwert verschafft. Regulierer sollten lieber zweimal nachdenken, bevor sie in die fundamentale Freiheit von Marktakteuren, die Preise selbst zu bestimmen, eingreifen.

Trotz des derzeit schwierigen politischen Umfelds in Europa sind wir entschlossen, auf Langfristigkeit zu setzen und uns nicht von kurzfristigen Marktverwerfungen ablenken zu lassen. Viele Experten, einschließlich diejenigen der Internationalen Energieagentur, prophezeien, dass die weltweite Gasnachfrage bis 2020 um 70 Milliarden Kubikmeter ansteigen wird.

Gazprom hält Versprechen

Im gleichen Zeitraum wird der europäische Bedarf an Erdgasimporten um fast ein Drittel wachsen. Gazprom steht fest zu seinem Versprechen, seinen Hauptmarkt Europa mit ausreichenden Mengen an Erdgas zu beliefern.

Um das zu erreichen, investieren wir jedes Jahr große Summen in Projekte zur Gasgewinnung und zum Gastransport. Der Gesellschaftsvertrag über das Ostsee-Pipelineprojekt Nord Stream 2, das wir gemeinsam mit Shell, Engie, E.On, BASF und OMV unterzeichnet haben, zeigt, dass wir unser Wort halten. Das Projekt wird unsere Kapazitäten für Gaslieferungen nach Europa erhöhen und die europäische Versorgungssicherheit weiter stärken.

Wir erschließen zudem neue Märkte in Asien. Gazprom unterzeichnete 2014 einen Vertrag mit dem chinesischen Staatsunternehmen CNPC über 400 Milliarden US-Dollar (378 Mrd. Euro) für die Lieferung von insgesamt einer Billion Kubikmeter Erdgas über einen Zeitraum von 30 Jahren.

Fehlgeleitete Investitionen

Unterdessen hat sich die Energiedebatte in Europa verändert. Der Konsens, dass der Kontinent beim globalen Klimaschutz vorangehen muss, bleibt ungebrochen.

Doch bei den Treffen der EU-Energieminister wird nun auch über die Kosten dieser Transformation gesprochen. Wirtschaftsvertreter warnen schon lange davor, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren wird, sollten die Kosten der Klimapolitik weiter außer Kontrolle geraten.

Europa muss seine Strategie zur Entwicklung einer grünen Wirtschaft überdenken. Gegenwärtig versucht die Politik, einzelne Energierohstoffe bis in jede Einzelheit zu regulieren und zieht gezielt einzelne Technologien anderen vor. Jeder Ökonom wird vorhersagen, dass dies zu fehlgeleiteten Investitionen führen wird.

Ein besonders drastisches Beispiel von politischer Planung und selektiver Technologieförderung sind Europas Offshore-Windparks: Während sich einige wenige Unternehmer über einen staatlich geförderten Geldsegen freuen können, gibt es immer noch keine Antwort auf die Frage, wie der erzeugte Windstrom zu den Verbrauchern – deren Stromrechnungen in der Zwischenzeit kontinuierlich steigen – geliefert werden kann.

Die EU muss politische Rahmenbedingungen schaffen, die kosteneffizient und technologieneutral sind. In der Einfachheit liegt bekanntlich der Schlüssel zum Erfolg. Wenn Europa ein starkes CO2-Preissignal setzen und alles Übrige dem Markt überlassen würde, könnten die Klimaziele nicht nur erreicht werden – dies würde auch sehr viel schneller und sauberer passieren.

Langfristige Kooperation

Eines schließlich ermutigt mich besonders in diesen schwierigen Zeiten: das wirklich große Ausmaß an Interesse unter europäischen Energieunternehmen, die Zusammenarbeit mit Gazprom zu intensivieren. Ich bin überzeugt, dass die wirtschaftliche Situation und unsere gemeinsamen Interessen es uns ermöglichen, die langjährige Energiekooperation zwischen Europa und Russland aufleben zu lassen und das Potenzial auch weiter auszuschöpfen.

Mit dieser Überzeugung werden wir weiterhin in diese Beziehung investieren und hoffen, dass Europa dasselbe tun wird.

DER AUTOR

 E-Mails an: debatte@diepresse.comAlexandr Medwedjew (* 1955) ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Gazprom. Der studierte Ökonom war über zehn Jahre lang Chef des Gazprom-Exportgeschäftes Gazprom-Export. Ende der 1980er und in den 1990er-Jahren lebte er in Wien, wo er die sowjetische Auslandsbank Donau-Bank managte und die Firma Imag führte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

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