Friedlich. Still. Grün.

Erstmals in seiner Geschichte hat das iranische Volk die Chance auf einen gewaltlosen Machtwechsel.

Der Iran hat eine sehr blutige Geschichte. In den 2500 Jahren gab es kaum einen Machtwechsel, der gewaltlos vonstatten ging. Kaiser, die um ihre Macht fürchteten, ließen Gegner köpfen, raubten ihren Söhnen das Augenlicht, damit sie als Thronfolger nicht mehr infrage kamen und somit keinen Grund mehr hatten, den eigenen Vater vom Thron zu stoßen, oder sie wurden von ihren eigenen Neffen ermordet, die sich dann selbst zum Schah von Persien ausriefen. Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert kam es bei jedem Dynastiewechsel zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.

Das persische Volk wurde von den Arabern erobert, dann von den Mongolen, dann von türkischen Herrschern regiert. Die Gründer neuer Dynastien, wie zum Beispiel Tahamasp Kouli Khan, der sich 1738 zum Schah krönen ließ, oder Reza Khan Mirpandj, der 1925 als Mohammed Reza Pahlawi den Thron bestieg, waren meistens Generäle, die dem Volk ihre Macht aufzwangen.

1906 bis 1909 war der Iran eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischer Verfassung, deren Artikel 21 „dem Individuum gegenüber dem Staat ein eigenständiges Recht“ einräumt. Diese Verfassung wurde von Schah Mohammad Ali Kadjar 1909 wieder abgeschafft, und damit auch die Pressefreiheit und das Recht des Individuums dem Staat gegenüber. Regierungstruppen schossen auf die Bevölkerung. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts teilen sich England und Russland den Machteinfluss auf den Iran. 1979 wird der letzte Kaiser von Ayatollah Khomeini gestürzt, es kommt zur islamischen Revolution. Khomeini installiert die Islamische Republik Iran.

Das Volk will gehört werden

Am 17. Juni 2009 gegen 22 Uhr schreibt ein iranischer Blogger auf Twitter: What is a President without a country? Bereits gegen 16 Uhr iranischer Ortszeit stellte ein weiterer Blogger auf seinem Blogspot Bilder von der Demonstration in Teheran ins Web. Nachdem die iranische Regierung die meisten Visa internationaler Journalisten nicht verlängert hat, sodass diese den Iran verlassen mussten, ist das Internet der einzige Weg zur Kommunikation mit der Außenwelt geworden. Menschen filmen mit Mobiltelefonen die Ereignisse in Teheran, Tabriz, Isfahan, Mashad und in der heiligen Stadt Ghom und stellen diese Filme auf YouTube ins Netz, verbreiten sie via Facebook. Bilder, die wir, wenn es nach der iranischen Regierung geht, nicht sehen sollen, denn es wird immer noch demonstriert. Das Militär ist präsent, die Revolutionswächter, die Polizei und vor allem die Basij, eine paramilitärische Streitkraft. Friedliche Demonstranten werden verprügelt, hunderte Reformer verhaftet, es gibt die ersten Toten. Und immer noch wird demonstriert. Friedlich. Still. Grün – die Farbe der Reformer, der Demonstranten, zugleich die Farbe der Hoffnung und, nicht zuletzt, die Farbe des Islam. Das iranische Nationalteam trägt bei einem Qualifikationsspiel in Südkorea grüne Armbänder als Zeichen der Solidarität. 30 namhafte persische Künstler stellen sich auf Seite der Demonstranten.

Auf Twitter, mittlerweile die einzige Möglichkeit zur Verabredung, da die Regierung immer wieder das Mobilnetz abschaltet, rufen Blogger zu Demonstrationen auf. Seit dem Tag der Wiederwahl Ahmadinejads gehen Hunderttausende auf die Straße. Es kann sich hierbei nicht mehr um eine enttäuschte Elite handeln, die sich einen anderen Wahlausgang erhofft hat. Es ist das iranische Volk, das eine Änderung herbeiführen will, das gehört werden will. Deshalb sind diese Demonstrationen auch stumm. Deswegen wollen diese Menschen keine Gewalt anwenden – weil sie gehört werden wollen.

US-Präsident Obama sagt, der Unterschied zwischen dem konservativen Reformer Ahmadinejad und seinem Gegner, dem Reformer Mir Hossein Moussavi, wäre gar nicht so groß, beide seien Teil desselben Systems. Er wäre bereit, mit beiden Gespräche zu führen. Damit stärkt er die Demonstranten, denen es nicht darum geht, die Islamische Republik zu stürzen, sondern die lediglich als Bürger wahrgenommen werden wollen.

Niemand weiß, wie es im Iran weitergehen wird. Niemand wagt, eine Prognose zu stellen. Wird die iranische Regierung die Proteste gewaltvoll unterdrücken, wird es tausende Tote geben, wird es zu Hinrichtungen kommen? Wird es zu einer neuen Revolution kommen? Wird es einen Machtwechsel geben? Geht es den Demonstranten nur um ihre Stimmen, oder wollen sie ein neues Regime? Ist es „nur“ interner Machtkampf zwischen dem Vorsitzenden des Expertenrates, Hashemi Rafsanjani, und dem obersten Rechtsgelehrten und Staatsoberhaupt der Islamischen Republik, Ali Khamenei?

„Wo ist meine Stimme?“

All diese Fragen lassen sich aus heutiger Sicht nicht beantworten. Das Einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dies ist eines der wenigen Male in der Geschichte des Iran, wo Menschenmassen auf den Straßen sind, die nicht von einem Ayatollah, einem General oder einem Kaiser dazu aufgerufen wurden. Zum ersten Mal haben weder die Amerikaner noch die Engländer oder die Russen ihre Finger im Spiel. Die Verfassung 1909 konnte von Schah Mohammed Ali Kadjar nur mithilfe englischer Diplomaten und russischer Truppen abgeschafft werden. Es gab ein Blutbad! 1953 wurde mithilfe des CIA Ministerpräsident Mossadegh gestürzt, der gegen Schah Reza Pahlawi auftrat. Es kam zu Verhaftungen und Hinrichtungen. Es wurde Blut vergossen. Zum ersten Mal erhebt das iranische Volk seine Stimme, schweigend, gewaltlos, in einem grünen Meer der Demokratie, und „wir im Westen“ sehen via Internet zu. Zum ersten Mal hat der Iran die Chance, dem Blutvergießen ein Ende zu machen. Deshalb verdienen sich diese Demonstranten die ganze Unterstützung des Westens! Erheben wir rechtzeitig unsere Stimme, wie wir es in China leider verabsäumt haben, rufen auch wir: Råje man koojåst!!?? Wo ist meine Stimme?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2009)

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