Eigener Kandidat oder taktische Lösung?

Warum die Freiheitlichen die Bundespräsidentenwahl nicht verschlafen sollten.

Soll man oder soll man nicht? Soll man die unabhängige Kandidatin Irmgard Griss unterstützen? Oder soll man eine Abschaffung des Amtes und die Zusammenlegung mit der Funktion des Bundeskanzlers anstreben? Oder soll doch der Parteichef selbst ins Rennen gehen? All das waren Varianten, die im Hinblick auf die Position der in den Umfragen stärksten Partei des Landes in Sachen Bundespräsidentenwahl diskutiert wurden. Dieser Tage will man sich nun entscheiden, und diese Entscheidung wird wohl nicht leichtfallen.

Nun kann man, wie dies Parteichef Heinz-Christian Strache bereits angedeutet hat, mit Fug und Recht darüber debattieren, ob man im Hinblick auf die Staatsspitze nicht eine Verfassungsänderung anpeilen sollte. Man braucht sich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass man eine Art autoritärer Staatsführung in einem Präsidialsystem à la Putin anstreben wolle. Man kann auf Beispiele wie Frankreich mit seinem demokratisch gebändigten Präsidialsystem verweisen. Oder auch auf die Schweiz, wo die Regierungsmitglieder im Rotationssystem den Bundespräsidenten stellen.

Andere Varianten

Überhaupt erlaubt es ja der Rückgriff auf die österreichische Verfassungsgeschichte, andere Varianten für das Amt des Staatsoberhaupts anzudiskutieren. Denn bis zum März des Jahres 1919 hatten die drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung diese Funktion wahrgenommen. Oder denken wir an die Jahre zwischen 1920 und 1929, als die Kompetenzen des Bundespräsidenten sehr schwach definiert waren und er nur von der Bundesversammlung gewählt wurde.

Tatsächlich ist die Stellung des österreichischen Staatsoberhaupts, wie sie aufgrund der Verfassungsnovelle von 1929 definiert wurde, eine merkwürdige: Als eine Art Ersatzkaiser, der durch die Volkswahl eine starke und unabhängige Position innehat und verfassungsrechtlich durch sein Recht auf die Ernennung des Bundeskanzlers und auf dessen Vorschlag auch der Bundesminister eine nicht minder dominante Position sein Eigen nennt, hätte er schlechthin die Schlüsselposition in der österreichischen Innenpolitik.

Hätte, wenn es da nicht jenen seltsamen „Rollenverzicht“ der Bundespräsidenten in der Zweiten Republik gäbe.

Da zumindest für die anstehende Wahl des Staatsoberhauptes eine Verfassungsänderung nicht realisierbar ist, stellt sich für die Freiheitlichen die Frage, ob sie nicht selbst in der Lage sind, eine Persönlichkeit aus ihren Reihen zu präsentieren, die realistische Chancen hätte. Bei fünf Kandidaten, jeweils einer von den beiden Regierungsparteien, einem grünen Kandidaten und der unabhängigen Kandidatin Griss, hätte ein fünfter, freiheitlicher Kandidat möglicherweise durchaus realistische Chancen, in die Stichwahl zu kommen.

Auch nach dem achtbaren Abschneiden von Barbara Rosenkranz vor sechs Jahren gäbe es durchaus auch heute ein präsentables freiheitliches Personalreservoir. Persönlichkeiten, die über die Seniorität – der dritte Nationalratspräsident, Norbert Hofer, fühlt sich bekanntlich zu jung für das Amt – verfügen und über die moralische Autorität sowie das Fachwissen, gibt es zweifellos in den freiheitlichen Reihen.

Hilmar Kabas etwa, der Ehrenobmann der FPÖ, Volksanwalt Peter Fichtenbauer oder der emeritierte Dekan der juridischen Fakultät, Wilhelm Brauneder, aber auch Ex-Minister wie Dieter Böhmdorfer oder Herbert Haupt, sie brächten diese Eigenschaften zweifellos mit.

Jüngere Generation

Aber auch freiheitliche Politiker der jüngeren Generation, etwa der außenpolitische Sprecher Johannes Hübner oder der Verfassungssprecher Harald Stefan, könnten in einem dynamischen von der ganzen Partei getragenen Wahlkampf den freiheitlichen Anspruch auf das höchste Staatsamt glaubwürdig gestalten. Und auch das weibliche Element wäre mit der gutbürgerlichen Frontwechslerin Ursula Stenzel oder mit der dynamischen EU-Abgeordneten Barbara Kappel herzeigbar.

Dass ein Antreten des Parteichefs selbst, so wie es etwa im französischen Falle selbstverständlich ist, die stärkste Mobilisierung der Parteisympathisanten mit sich bringen würde, steht außer Zweifel. Im österreichischen Verständnis allerdings birgt dies auch Risken: Etwa den Vorwurf, dass er nun alles werden wolle, Wiener Bürgermeister, Bundeskanzler, Bundespräsident, womöglich auch noch Papst in Rom. Überdies brächte ein wahrscheinliches Scheitern, zumindest im zweiten Wahlgang, das Risiko einer medial verstärkten persönlichen Niederlage des Parteichefs mit sich.

Und dann gäbe es da noch die taktische Variante, wonach die Freiheitlichen danach trachten könnten, einen Keil in die gegenwärtige Regierungskoalition zu treiben – etwa durch die Unterstützung eines der Kandidaten der beiden alten Parteien. Schon in der frühen Geschichte der Zweiten Republik gab es ja immer wieder Versuche, etwa einen schwarz-blauen Kandidaten zu positionieren. Ein solcher zeichnet sich für die Präsidentschaftswahl zwar nicht ab, ausgeschlossen wäre es aber nicht, dass die FPÖ einen christlich konservativen Amtsanwärter unterstützt und dafür ganz offen einen politischen Preis einfordert.

So wie Friedrich Peter seinerzeit Bruno Kreisky das kleinparteienfreundliche Wahlrecht für die Unterstützung der roten Minderheitsregierung im Jahr 1970 abringen konnte, müsste der Preis für eine freiheitliche Unterstützung eines von der Volkspartei gestellten Bundespräsidentenkandidaten zumindest in der definitiven Zusicherung bestehen, dass ein FPÖ-Chef, sollte er Vertreter der stimmenstärksten Partei sein, ebenso selbstverständlich mit der Regierungsbildung beauftragt würde, wie dies bei anderen Parteichefs der Fall wäre.

Und selbstverständlich müsste auch zugesichert werden, dass ein solcher als Bundeskanzler angelobt werden würde, wenn er sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen könnte.

Politischer Anreiz

An der Jahreswende 1999/2000 bestand der Preis für die freiheitliche Regierungsbeteiligung in der Überlassung der Funktion des Bundeskanzlers an die ÖVP. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte später, da die Freiheitlichen unter Heinz-Christian Strache deklariertermaßen zu einem solchen Kuhhandel niemals mehr ihre Zustimmung geben würden, könnte der Preis für die freiheitliche Übernahme der Kanzlerschaft in der Überlassung des höchsten Staatsamtes gegenüber der ÖVP bestehen. Ein Anreiz, der angesichts der Machtmöglichkeiten des österreichischen Bundespräsidenten nicht zu verachten wäre.

Allzumal dann, wenn die ÖVP-Strategen – Lopatka lässt grüßen – erkennen müssten, dass sie im freien Spiel der Kräfte bei den Präsidentschaftswahlen gegen einen sozialdemokratischen Kandidaten kaum wirkliche Chancen hätten, dass die Hofburg ohne blaue Unterstützung für einen bürgerlichen Kandidaten eine rote Domäne bleiben müsste.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Andreas Mölzer
(geb. 1952) studierte Rechtswissenschaften, Geschichte, Volkskunde in Graz. Er wird dem deutschnationalen Flügel der FPÖ zugerechnet, er selbst bezeichnet sich als „nationalliberalen Kulturdeutschen“. 2004 bis 2014 war er FPÖ-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Mölzer ist Herausgeber der Wochenzeitung „Zur Zeit“. [ Clemens Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2016)

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