Kopfweh mit dem Risikosport

Auch der Skirennsport gefährdet zunehmend die Gesundheit der Sportler. Doch das Thema wird ignoriert.

Was haben Kitzbühel und die National Football League gemeinsam? Beide sind eine Gefahr für die Sportler, die sich dort bewegen. Kitzbühel steht als „gefährlichste Abfahrt der Welt“ (Eigenlob) für den Skirennsport und besonders für die Speed-Disziplinen. Eine (unvollständige) Liste von in der heurigen Saison Verletzten erspart jeden Kommentar.

Vor dem ersten Rennen riss sich Anna Fenninger alle Bänder in einem Knie und die Patellasehne. Die überragende Slalomläuferin Mikaela Shiffrin (USA) zog sich Mitte Dezember einen Seitenbandriss und eine Knochenprellung zu. Der Schweizer Olympiasieger in der Kombination, Sandro Viletta, beendete die Saison wegen einer Knochenprellung, sein Teamkollege und Abfahrtsweltmeister Patrick Küng wegen Schmerzen in der Patellasehne. Österreichs Olympiasieger Matthias Mayer brach sich bei der Abfahrt in Gröden das Rückgrat. Sein Kollege Georg Streitberger leidet an einem Bandscheibenvorfall, Patrick Schweiger an zwei, sie werden mit Infiltrationen fit gehalten.

Weitere, unprominente Opfer: Joachim Puchner (Patellasehne, Saison vorbei), Kerstin Nicolussi (Kreuzbandriss), Elisabeth Kappaurer (Knorpelverletzung), Thomas Mayrpeter (Kreuzbandriss), Markus Dürager (Schien-, Wadenbeinbruch). ÖSV-Star Marlies Schild trat im Sommer ab, sie hatte zehn Operationen und einen Trümmerbruch von Schien- und Wadenbein, ihre Wirbelsäule ist bedient.

Neue Krankheit entdeckt

Was hat das mit der National Football League in den USA zu tun? Die NFL leugnete viele Jahre lang die Gefahr für die Spieler durch die Stöße gegen den Körper (Wirbelsäule!) und vor allem gegen den Kopf. Mittlerweile führte die Untersuchung der Todesursache vieler ehemaliger Football-Profis zur Entdeckung einer neuen Krankheit, der chronischen, traumatischen Enzephalopathie. Das ist eine krankhafte Veränderung des Gehirns, die durch wiederholte Erschütterungen hervorgerufen wird. Sie gleicht dem Trauma der Boxer, Dementia pugilistica oder faustkämpferischem Parkinson, an dem Ex-Boxweltmeister Muhammad Ali leidet.

Massiver Imageschwund

Die Lebenserwartung der Ex-Football-Profis liegt unter 59 Jahren. Seit das bekannt ist, leidet die Football-Industrie an massivem Imageschwund. Der Lieblingssport der Amerikaner entpuppt sich als Todesdrohung für Kinder, die ihn lieben und spielen. Helme, Schutzanzüge, Schulterpolster und wattierte Hosen sind kein ausreichender Schutz vor der das Publikum faszinierenden Brutalität.

Der Skirennsport hat Österreichs Selbstbild geprägt und das Überleben der Alpentäler befördert wie sonst nichts. Seine menschenvernichtende Seite wird ignoriert. Auch hier werden Helme, Airbags und Zäune verwendet, um „die Sicherheit zu erhöhen“. Ende Dezember rasten die Abfahrer in Santa Caterina mit bis zu 150 km/h durch den Nebel. Nimmt man für die Show Todesopfer in Kauf?

Am kommenden Rennwochenende in Kitzbühel wird die Hysterie über die todesmutigen Skirecken wieder über Österreich schwappen. Der Film „Streif – One Hell of a Ride“ schwelgt in den Klischees vom Pseudo-Schöpfungsakt des Skirasens über die äußere und innere Grenze hinweg zum Nahtoderlebnis.

Vor dem Sieg in der Abfahrt setzen die Götter die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, lautet die zynische Botschaft. Der Einzelne ist für Erfolg und Misserfolg, für Leben und Tod, ganz allein verantwortlich. Vielleicht sollte man endlich die Frage stellen, wer hier – risikominimiert – systematisch den Profit einstreift?

Mag. Johann Skocek (* 1953) ist Journalist

und Buchautor. Er hat sich auf die Hintergrundberichterstattung im Dreieck Sport,

Wirtschaft und Politik spezialisiert

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2016)

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