Österreich 2016: Frust, Flüchtlinge und Furcht

Gastkommentar. Zuversicht, Miteinander und Mut müssten den politischen Alltag bestimmen.

Österreich im Winter 2016: Im Diskurs rund um die Migrationswelle gibt es offenbar nur noch Schwarz-Weiß, wird im Vorfeld des Bundespräsidentschaftswahlkampfs unerbittlich gestritten, werden Ängste geschürt und Sorgen lächerlich gemacht. Österreichs bisheriges Erfolgsprinzip der Konsensdemokratie hat sich offenbar überlebt, ist zu einer von politischen Lagerkämpfen gelähmten Stillstandsrepublik mutiert.

Die Dauer-Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP sind im täglichen Kleinkrieg ausgebrannt, streiten über Begrifflichkeiten wie „Zaun oder Tür mit Seitenteilen“, „Richtwert oder Obergrenze“, klammern aber an der schwindenden gemeinsamen Macht wie ein Ertrinkender am Strohhalm.

Auf der Strecke bleibt eine sich rapid ändernde Gesellschaft, deren weitaus überwiegender Teil sich nicht ändern will, aber doch muss. Chaos und Ratlosigkeit rund um die Flüchtlingskrise zeigen, wie verletzlich mittlerweile unser so stabil geglaubtes politisches System in Europa ist. An die europäische Verheißung glauben immer weniger Bürger.

Dabei brauchte es gerade in Krisenzeiten mit Massenarbeitslosigkeit und Migrationsströmen mutige europäische Lösungen. Denn eines ist klar: Wenn EU und nationale Regierungen nicht schleunigst gemeinsam wirksam handeln, werden Europas Bürger dieses System mit Recht abwählen.

Sozialkonservative im Aufwind

Die Union und speziell unsere Alpenrepublik sind erschlafft, während hungrige politische Kräfte rechts der Mitte und zutiefst EU- und systemkritisch wie Front National, AfD und die Strache-FPÖ immer stärker werden und laut an die Türen der Regierungen klopfen. Diesen neu positionierten Parteien – ich nenne sie Sozialkonservative, weil sie sozialistische Sozialpolitik mit konservativen gesellschaftlichen Positionen kombiniere – gehört derzeit die Zukunft. Sie repräsentieren die Ansichten eines immer größeren Teils der europäischen Bevölkerung und legen schonungslos die Finger in die offenen Wunden, für die die Regierenden als Heilmittel maximal Pflaster zur Verfügung stellen.

Wie die Piraten bei Asterix

Das Schreckbild der kompetenzbefreiten und regierungsuntauglichen Rechten funktioniert beim Wähler nicht oder nur mehr teilweise, weil die regierenden Konservativen oder Sozialdemokraten massiv an Vertrauen in ihre Lösungskompetenz eingebüßt haben.

In Österreich scheuen SPÖ und ÖVP notwendige Veränderungen, auch weil sie fürchten, Wähler zu verlieren. Sie verlieren sie aber ebenso ohne Reformen. Und wenn sich die Regierung aufrafft, beispielsweise eine Steuerreform umzusetzen, erinnert die nicht vorhandene gemeinsame Kommunikation an die sich selbst versenkenden Piraten bei Asterix.

Eine Regierung aber, die selbst der Meinung ist, die wichtigsten Probleme des Landes nicht mehr gemeinsam lösen zu können, hat abzutreten und den Weg freizumachen. Frust, Flüchtlinge und Furcht dürfen nicht den politischen Alltag dominieren, sondern Zuversicht, Miteinander und Mut.

Wenn wir nicht lernen, wieder in Zwischentönen zu denken, wenn wir weiterhin trennen und kollektivieren, wenn wir in Schuldzuweisungen verharren, statt Lösungen zu suchen, und wenn wir nicht wieder lernen, die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen, dann werden wir das „Flüchtlingsproblem“ binnen Jahren „gelöst“ haben, weil nämlich kein Flüchtling mehr in das wirtschaftlich ruinierte und gesellschaftlich destabilisierte Österreich wird kommen wollen. Österreich steht vor der Wahl: „Wir schaffen das“ oder „Wir schaffen uns ab“.

Heimo Lepuschitz war Pressesprecher von FPÖ-Parteiobfrau Ursula Haubner und später des BZÖ. Heute akademischer Kommunikations- und Politikberater.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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