Unabhängigkeit ist die Kraft des Präsidenten

Warum ich die Kandidatur von Irmgard Griss für das Amt des Staatsoberhaupts von Anfang an unterstützt habe: Die Zeit ist reif, das durch wirkliche Unabhängigkeit gewichtete Amt in der Hofburg aufzuwerten.

Meine offengelegte, frühe und auch finanzielle Unterstützung für Irmgard Griss in ihrer Kandidatur als Bundespräsidentin wird hierzulande gelegentlich als mutig bezeichnet. Begleitet ist diese Einschätzung von der Denkweise, jeder Unterstützung wohne auch eine Absage inne, was in dem von parteipolitischem Denken durchdrungenen Österreich leicht zu unliebsamen Konsequenzen führen könne.

Ich gebe ja zu, gern als mutig bezeichnet zu werden. Aber aus meiner Haltung für Irmgard Griss ist das leider nicht herzuleiten. Dazu ein paar Gedanken:

Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt der Republik Österreich. Das Amt ist so zu führen, wie es der Verfassung und vor allem seinen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen entspricht.

Parteifrei und unabhängig

Dieser Handlungsauftrag basiert auf einer institutionellen Unabhängigkeit, also der politischen und ethischen Grundposition, abseits parteipolitischer Einflussnahme sowohl im Staat als auch repräsentativ für Österreich in dem in der EU organisierten Europa und darüber hinaus „etwas bewirken zu können“. Unbestreitbar ist damit eine personelle Komponente verbunden, weil unabhängig nicht synonymisch für parteifrei steht.

Irmgard Griss ist beides: parteifrei und unabhängig. Der breiten Öffentlichkeit ist sie durch den von der Politik beauftragten Kommissionsbericht in der haushaltsrelevanten „Causa prima“ der Republik bekannt geworden, der heute den Namen der Vorsitzenden trägt. Die Wahl der Auftraggeberin, niemand Geringerer als die österreichische Bundesregierung, fiel auf sie, weil sie alle Kriterien für die schwierige Herausforderung erfüllte: anständig, rechtlich denkend, nur der Wahrheit verpflichtet – parteifrei und unabhängig.

Diese Attribute säumen ihren Lebenslauf, in dem der disziplinierte Ausbau fachlicher Kompetenz neben der Entwicklung einer gefestigten Persönlichkeit jeder parteipolitischen Opportunität und Kumpelei eine klare Absage erteilt. Die Entscheidung stieß hierzulande auf breiten Beifall – wie auch das vom Gremium zeitgerecht gelieferte Werk.

Die Glaubwürdigkeit dieser Persönlichkeit fördert den Zusammenhalt. Daher erfolgte meine Unterstützung schon zeitnah zur Erklärung von Irmgard Griss, für das Amt der Bundespräsidentin kandidieren zu wollen. Mir ging es darum, ihr helfend ein Zeichen meiner Wertschätzung und Loyalität zu übermitteln und dabei auch andere in der Zivilgesellschaft zu motivieren, sich für sie zu engagieren.

Zudem war es ein ehrlich gemeinter Wink in Richtung Koalitionsparteien. Gerade sie sollten ein Mindestmaß an politischem Verständnis für überparteiliche Anliegen aufbringen können, zumal aus ihren Reihen für die Wahl des Präsidenten noch niemand auf die Bühne geschickt worden war.

Es geht nicht um Gegenmacht

Was spricht in Zeiten, in denen Solidarität durch das Einstehen für das Zusammenhängende definiert ist, gegen eine – auch um Sparsamkeit bemühte – (wiederum) politische Einigung auf die international erfahrene, erfolgreiche und verlässliche Irmgard Griss? Es geht ja nicht um eine Gegenmacht zur Regierung! Eine auch in der Bundesverfassung ausdrücklich vorgesehene, gemeinsame Nominierung ist daher auch keine Absage an demokratische Pluralität, sondern das Bekenntnis zur Funktion der Bundespräsidentin als Brückenbauerin, die als Priorität die politische Stabilität in Form einer effizienten Regierung und aktiven Opposition im Auge haben muss.

Eine sechsjährige Amtsdauer ist eine lange Zeit, und niemand weiß heute, welche Parteien die Vielfalt noch vermehren werden. Die Epoche der Großparteien mit absoluten Mehrheiten ist europaweit vorbei. Allerorten entwickeln sich neue, politische Gruppierungen.

Die Bundespräsidentin der kommenden Amtsperiode wird vielen über die Schulter schauen und frei von mitgebrachten Parteibeziehungen ein wachsames Auge auf alles Kommende haben müssen. Es geht um die Rechtsstaatlichkeit Österreichs, mit all seinen Menschen mit unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen und Institutionen auf dem schwierig gewordenen Weg in eine Zukunft des Ausbaus der Freiheit, des Friedens und des Wohlstandes.

Ich frage mich auch, ob das herrschende Konzept überhaupt stimmt, dass es der finanziellen Unterstützung der Zivilgesellschaft bedarf, damit eine überparteiliche und nachweislich unabhängige Persönlichkeit für das durch Unabhängigkeit definierte Amt überhaupt kandidieren kann?

Auf beiden Ohren gut hören

Der Wahlkampf aller von Parteien nominierten Kandidaten wird (intransparent) aus Parteikassen finanziert, und damit aus Steuergeldern. Und natürlich bringen diese Kontrahenten ihre alten politischen Beziehungen mit in das angestrebte Amt. Ihre Unabhängigkeit ist schon darum völlig unglaubwürdig.

Ich weiß aus der eigenen richterlichen Tätigkeit, dass Unabhängigkeit weit mehr ist als nur ein limitierter Arbeitsauftrag. Auf beiden Ohren gleich gut hören, alle Herzkammern gleich gut durchbluten, ohne Zwinkern und Getuschel sich der Sache anzunehmen, um im äquidistanten Denken und Kommunizieren einen jeden erreichen zu können – darin liegt die Arbeitshaltung und Arbeitsweise, die permanent geprüft und trainiert werden muss.

Niemand wird unabhängig nur durch den Durchmarsch von einem Zimmer in ein anderes. Parteifreiheit ist an einem Tag verschaffbar: Es werde Licht, man trete aus! Mit der Unabhängigkeit geht das so eben nicht.

Direkte Demokratie stärken

Das soll nun nicht bedeuten, dass nur vormalige Mitglieder des Richterstands als Bundespräsidenten infrage kommen. Aber vor die Wahl gestellt, auch diesmal eigene Kandidaten in eine teure Materialschlacht zu schicken versus die parteifreie, unabhängige und zweifelsfrei amtsgeeignete Irmgard Griss gemeinsam für die Funktion den österreichischen Wählerinnen und Wählern vorzuschlagen, hätten die beiden Koalitionsparteien gleich zur Entscheidung pro Irmgard Griss kommen können.

Die Zeit ist reif, das durch wirkliche Unabhängigkeit gewichtete Amt der Bundespräsidentin auf eine verfassungsgerechte Umlaufbahn zu heben und damit auch die direkte Demokratie zu stärken. Gemeinsam für Österreich und für eine starke Stimme im Ausland. Das war der Zuruf an die Regierenden, dessen Echo auch die Opposition erreichte!

Wie gesagt: Meine unbrechbare Unterstützung für Irmgard Griss ist kein mutgefülltes Gebläse gegen Regierende, sondern eine nachvollziehbare Aufforderung in der gegebenen Situation, die nur alle sechs Jahre als Chance wiederkommt – und vielleicht früher schon in einer Stichwahl.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN



Dr. Cattina Leitner (*1962 in Graz) studierte Rechtswissenschaften in Graz. Sie war über 20 Jahre Zivilrichterin mit Lehrauftrag an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Seit ihrem Wechsel in die Anwaltei lebt sie überwiegend in Wien. Sie ist die langjährige Vorsitzende des Universitätsrates der Med-Uni Graz, Mitglied des Finanzkuratoriums der Akademie der Wissenschaften und eine der ersten Unterstützerinnen von Irmgard Griss. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

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