Terrorist als schöner Held: Wie der IS filmreif wird

Bilderstreit. Terrorbanden, die alte Kulturstätten verwüsten, wissen, was sie tun. Westliche Medien sind im Umgang mit Symbolen weniger geübt.

„Die Presse“, die sehr gern knifflige Grafiken zur Arbeitslosigkeit oder Pensionsfrage auf die erste Seite stellt, greift manchmal doch auch optisch Eindrucksvolleres auf. Vor dem Wüstenhintergrund hebt sich das farbenprächtige Bild eines jungen, schwarzhaarigen und vor allem entschlossenen Mannes ab (26. 1.). Ohne sichtbare Waffen oder gar Bombengürtel ist er im Kampfanzug eine ästhetische Erscheinung, und mancher Leser könnte sich fragen: Schon wieder Lawrence von Arabien?

Das Bild stammt tatsächlich aus einem Film, freilich nur einem 18 Minuten langen Video, hergestellt von der Terroristenbande des Islamischen Staates (IS). Laut „Presse“ zeige das Foto einen von neun mutmaßlichen Paris-Attentätern, nämlich Abu Mujaed al Baljiki. Rechts oben ist das Logo „Al Hayat“ sichtbar, des virtuellen Media-Centers des IS. Dieses produziert im Irak und in Syrien mit westlicher Software und vielleicht sogar westlichen Technikern Videos für das islamische Publikum, aber genauso für westliche Völker in deren wichtigsten Sprachen.

Im Artikel mit der alarmierenden Überschrift „Terrorcamps mitten in Europa“ erfährt man, dass in dem Video die Tötung von Geiseln vorgeführt wird. Dann wird man das Foto doch nicht so toll finden, sondern grübeln, warum hiesige Zeitungen einem Mörder zum filmreifen Auftritt verhelfen.

Der Zusammenhang zwischen wüster Aggressivität, Geltungstrieb und vielleicht sogar jihadistischer Heldenromantik ist kein Motiv, solche Leute ins positive Licht zu stellen. Der wunde Punkt wird in dem Bericht der europäischen Polizeibehörde Europol sogar berührt: Die Attentäter sähen sich nicht einmal als religiöse Märtyrer, wird dort behauptet, sondern als Helden. Zum Aufmacherfoto in westlichen Medien erwählt zu werden bestätigt die Abgebildeten in ihrer Meinung, dies wirklich zu sein.

Von Zensur oder Selbstzensur will ich in der Ära des ohnedies abklingenden Correctness-Fimmels gar nicht reden, sondern nur ins Gedächtnis rufen: Mit dem, was man zeigt oder nicht zeigt, muss sich eine Zeitung immer auseinandersetzen. Am Höhepunkt des Terrors der Roten Armee Fraktion (RAF), die Deutschland zur Zeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt in den Staatsnotstand getrieben hatte, galt eine kluge journalistische Regel, die sogar weitgehend beachtet wurde: Einen Terroristen stellt man nicht auf die Tribüne.

***
Und wie kommen Flüchtlinge ins Bild? Das Auge des Fotografen sucht Auffallendes, Passendes, Schockierendes, Berührendes. Kein Bild ist „objektiv“. Problematisch sind nicht nur im Umgang mit Flüchtlingen jene gestellten Aufnahmen, denen man die künstliche Regie anmerkt. Eine mit Touristenbeuteln behängte Gestalt in dem vom Schnee angezuckerten kilometerweiten Nirgendwo ist so ein Foto – „an der Grenze zwischen Mazedonien und Serbien“, wie der Bildtext sagt (20. 1.). Wer steht dafür ein, dass die Gestalt tatsächlich ein Flüchtling ist?

Sprachlich fangen die Redakteure immer wieder neue Konstellationen des langen Marsches aus dem Krieg nach Westeuropa ein, so etwa in der eindrucksvollen Reportage über die griechische Insel Lesbos, wo Tausende ankommen, leider nicht alle lebend (31. 1.). Im Eifer des Berichterstattens kann sich schon einmal ein typisch journalistischer Satzbau ergeben, der das Verständnis mehr erschwert denn erhellt: „75 Menschen zerrten die Nothelfer aus dem Meer.“ Es sollten wohl die Nothelfer (Subjekt) gewesen sein, die 75 Menschen (Objekt) retteten.

***
Ein Orthografie-Programm auf dem Computer schützt nicht immer vor Rechtschreibfehlern. Vom Café Markusplatz blieben nur „Schutt und ein paar Fließen“ (15. 1.), steht in der Zeitung. Da hat der Rechtschreibwächter versagt, weil das Fließen des Wassers ja richtig geschrieben wäre. Aber die Kacheln, die Fliesen heißen, haben kein ß.

Mit der Grammatik tut sich die angebotene Software sowieso schwer, so dass Grammatikfehler allmählich die Überhand gewinnen: Es sei zweifelhaft, dass das Gütesiegel für familienfreundliche Unternehmen massive Auswirkungen „auf das Erwerbsleben von Väter und Mütter“ habe (4. 2.). Auch Elternteilen steht ein Dativ zu.

Die Fassade der Gloriette wird „samt aller Fenster, Türen, Balustraden und Figurengruppen“ saniert (21. 10.). Die Präposition „samt“ braucht den Dativ, also: samt allen Fenstern und Türen.

„350 Mio. Euro soll der Finanzskandal dem Land Salzburg gekostet haben“ (4. 2.). Er kostet das Land Salzburg so viel. „Kosten“ verlangt eigentlich den Akkusativ. Es kostet mich fünf Euro.

„Die Behörden versuchen mit massiven Mitteln, dem Zika-Virus Herr zu werden“ (27. 1.). Herr wird man des Zika-Virus, also mit Genitiv. Und das hoffentlich bald.

„Die Römer beginnen, mit der Feuersetzmethode Stein zu bersten“, steht in einem Artikel über die Goldabbautechnik (Wissen, 30. 1.) „Bersten“ ist intransitiv. Ein überfüllter Koffer kann bersten. Dynamit kann das Gestein nicht bersten, sondern nur sprengen.

Forderungen der Kammer seien „schon teils erfüllt“ (11. 2.). Präziser wäre „teils schon erfüllt“.

Wenn ein Geologe Sebastian Nomade heißt, hat ein Autor, der über ihn schreibt, Probleme. Erforscht Herr Nomade nämlich eine Höhlenmalerei, dann heißt es im Artikel rasch, dort sei „Nomaden etwas aufgefallen“ (20. 1.) In der Höhle waren keine Nomaden.

Kein Softwareprogramm hilft gegen die Verwechslung von Zahlen und Daten. Sonst wären die beiden Behauptungen vermieden worden (21. 1.): „Der EuGH entschied im April 2016 . . .“ (so weit sind wir im heurigen Jahr noch nicht) und „Dem Jusstudium an der Uni Wien setzte der Einmarsch Nazi-Deutschlands im März 1939 ein Ende.“ 1938 war das schon. Leider.

***
Zwei Doppelseiten über die Seidenstraße sind allemal spannend und lesenswert (7. 2.) Die geografischen Illustrationen dazu wirken wie ein willkommener Blickfang, sofern man die üblichen Mängel der im Bug zerschnittenen Zeichnungen übersieht. Geradezu genial gelingt das Layout in derselben Ausgabe beim Artikel „1001 Nacht in Zeiten des Terrors“: Das schöne Bild steht unversehrt links, dennoch sind die Seiten verbunden.

***
In Wintern wie dem heurigen gehört einiger Mut dazu, Reportagen über den Sport im tiefen Schnee zu schreiben. „Die Streif in zig Minuten“ geht ja gut durch, denn in Tirol schneit es offenbar manchmal noch immer (17. 1.) Drei Wochen später wird's mulmig – auf welcher Unterlage wandern Schneeschuhwanderer? Aber die Autorin hat unbeschreibliches Glück, Westösterreich wird am Erscheinungstag ihres Artikels zugeschneit (7. 2.). Alles paletti, und vor allem sind die zwei Schneereportagen geradezu fachfraulich komponiert. Was soll ich mich da noch wundern, dass zweimal „die Challenge“ mit weiblichem Artikel vorkommt. Vielleicht stimmt sogar das, und ich weiß es bloß nicht.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.