Wenn Gott keine 72 Jungfrauen mehr verspricht

Am Ende des religiös motivierten Terrors steht der gottlose Staat.

The taking away of god, though even in thought, dissolves all“, meinte John Locke einmal. Er befürchtete, wenn man Gott aus dem Denken streiche, löse sich (moralisch) alles auf, und es herrsche Anarchie. Angesichts des heutigen religiös motivierten islamistischen Terrorismus möchte man diesen Satz manchmal geradezu umkehren: „The taking away of god would solve it all.“

Würde man die Vorstellung eines göttlichen 72-Jungfrauen-Lieferanten eliminieren, entzöge man wohl der wilden Jagd auf die „Ungläubigen“ eine wesentliche Legitimationsgrundlage. Wenn es keine paradiesischen, von Gott angeblich versprochenen Belohnungen dafür gibt, dass man sich selbst und „Ungläubige“ in die Luft sprengt, dann würde die Motivation zu solchem Wahnsinn wegfallen.

So gesehen gäbe es nichts Wichtigeres als eine permanente Kontrolle des Religionsunterrichts kleiner Kinder durch den säkularen Staat – und in der Folge das Verbot, perverse Gottesbilder staatlich subventioniert zu propagieren.

Wie wird es weitergehen? Werden die besagten Wahnvorstellungen von Gott von selbst vergehen, wie die sozialistischen Fantasien von einer „klassenlosen Gesellschaft“? Jeder Kriegszug im Namen Gottes gegen Ungläubige krankt an einem Rechenfehler, den sich die Menschen auf Dauer nicht gefallen lassen werden. Es gibt nämlich wohl im Grunde keinen besseren „Beweis“ gegen die Existenz Gottes als den tödlichen Fanatismus seiner Anhänger.

Der Abgesang einer Religion

Eine Religion oder Weltanschauung ganz allgemein, von der die Menschen nicht überzeugt werden können, sondern zu der sie – mit Waffengewalt und Terror – gezwungen werden müssen, gibt sich die größtmögliche Blöße und erweist sich als zuinnerst schwach und unzureichend begründet. So gesehen sind solche religiösen Gewaltexzesse, wie wir sie zur Zeit beobachten, untrügliche Anzeichen eines Argumentationsnotstandes und damit des Abgesangs einer Religion. Der Terror, der so mächtig und lautstark daherkommt, ist eigentlich eine Form von geistiger Kapitulation und Schwäche.

Die Welt in Auflösung

Am Ende wird nicht ein Gottesstaat, sondern der gottlose Staat stehen – eine Gesellschaft, die sich angewidert endgültig vom Gottesglauben abgewendet haben wird. Das Ziel, das die Gotteskrieger anstreben, verkehrt sich ins Gegenteil. Sie erreichen das Gegenteil dessen, was sie wollen.

Letztlich geht es bei John Locke gar nicht um Gott selbst, sondern um „Gott im Denken“, um Gottesbilder. Gott selbst kann man nicht „wegnehmen“ – er existiert entweder, oder er existiert nicht. Was man verändern kann, sind die Bilder von Gott, die religiösen Imaginationen.

Hinter dem religiös motivierten Terrorismus steckt nicht Gott, sondern, sozialwissenschaftlich gesprochen, ein falscher „imaginaire“, den man eher früher als später wegnehmen sollte, damit sich nicht eines Tages wirklich „alles auflöst“, die Welt, in einer großen Explosion. Das alles sage ich als religiöser Mensch, der nach wie vor an Gott glaubt (allerdings an einen anderen als die sogenannten „Gotteskrieger“).

Ich fürchte allerdings, dass letztlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden wird. Die Menschen haben genug von Religion, die nur Blut und Tod bringt, und bemühen sich nicht mehr um irgendeine mühsame „Reinigung“ des Gottesbildes, sondern verabschieden sich pauschal von der Idee eines absolutistischen, unberechenbaren Himmelsfürsten, von dem man nicht sicher sein kann, was er als nächstes fordert.

Univ.-Doz. Dr. P. Michael F. Köck OSB ist seit 1998 Lehrbeauftragter für Philosophie an der Uni Salzburg, seit 2008 habilitiert (Christliche Philosophie). Mitglied des Benediktinerordens (Kloster St. Peter), seit 1994 Priester.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2016)

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