Umgekrempelte Grenzen? Für Herrn Hofer nur Peanuts

Die merkwürdigen Ansichten des FPÖ-Präsidentschaftsbewerbers zur Krim-Besetzung.

Eines macht FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer in seinem „Presse“-Interview (12. 3.) unmissverständlich klar: In Sachen europäischer Rechtsstaatlichkeit zählen für ihn das Wann und das Wo. Die Sanktionen gegen Russland waren, so Hofer, von Anfang an falsch und müssen weg – da „Wirtschaft und Menschen hier und in Russland darunter leiden“. In der Ukraine leben seiner Meinung nach also anscheinend keine Menschen. Und die Tatsache, dass die Sanktionen gegen Russland einen weiteren Kreuzzug Putins gegen die Ukraine verhindert haben, ist für Hofer offenkundig unwichtig.

Tatsächlich, wie lang sollen Sanktionen gegen jemanden aufrechterhalten werden, dessen politische Entscheidungen Tausende Leben für immer ausgelöscht haben? Sind zwei Jahre genug? Hat jemand ein Auto gestohlen oder einen Menschen umgebracht, ist das ein Verbrechen. Hat jemand aber Europas Grenzen umgekrempelt und einen blutigen Krieg ausgelöst, sind das offenbar Peanuts.

Keine Angst, Herr Hofer soll nicht erneut daran erinnert werden, dass es russische Staatsbürger unter russischen Fahnen und mit russischen Waffen sind, die auf dem ukrainischen Boden gegen die Ukraine kämpfen – nicht anders herum. Das sind nur Fakten – und von Fakten sieht man gern ab, wenn es sich politisch auszahlt.

Gedehntes Völkerrecht

Aber es gibt eine Kategorie, die weniger dehnbar ist: das Völkerrecht. Herr Hofer behauptet, es sei „ein Grundfehler“ gewesen, nach dem Zerfall der UdSSR die Krim als „nicht russisch“ zu bezeichnen. Es war also ein Fehler, das Völkerrecht zu befolgen. Dies übertrifft an Radikalismus ziemlich alles, was man bisher von europäischen Politikern zu diesem Thema gehört hat.

1994 gab die Ukraine ihre vom kollabierten Sowjetstaat geerbten Atomwaffen auf – im Austausch für Sicherheitsgarantien der Nuklearmächte. „Hiermit bestätigen wir unsere Pflicht, die Souveränität, Unabhängigkeit und die existierenden Grenzen der Ukraine zu respektieren“ – so lautet Punkt eins des Budapester Memorandums. Er wurde von russischer Seite auf der Krim gewaltsam gebrochen. Der 1997 unterschriebene ukrainisch-russische Grundvertrag bekräftigte erneut die bestehenden Grenzen – wie alle folgenden Dokumente bis 2014.

Krim: Niemand war zu retten

Völkerrechtlich war die Krim nicht russisch. Kulturell war sie weltoffen – überwiegend russisch, ukrainisch und krimtatarisch. Niemand stand dort der russischen Kultur und Sprache im Weg. Es gab dort niemanden zu retten. Nichts rechtfertigte diesen Akt der schieren Aggression. Nichts gab Russland das Recht, die Halbinsel anzuschließen – im Rahmen eines Zirkusverfahrens, innerhalb von drei Wochen. Sogar Hitler brauchte für den Anschluss Österreichs länger.

Herr Hofer behauptet, niemand hätte die Bevölkerung der Krim nach dem Kollaps der UdSSR nach ihrer Meinung gefragt. Falsch. Am 1. Dezember 1991 hielt die drei Monate junge Ukraine ein Referendum ab, bei dem die Mehrheit der Krim-Bevölkerung für die Unabhängigkeit der Ukraine abstimmte – als Teil des ukrainischen Volks. Das Referendum war international anerkannt und nicht von Putins grünen Männchen „überwacht“ – also zählt es wahrscheinlich für Herrn Hofer nicht.

Übrigens gab es 2006 im moldawischen Transnistrien ein Krim-ähnliches „Referendum“ – mit (angeblich) 97 Prozent Zustimmung zum Anschluss an Russland. Soll man auch dort die Grenzen Europas umkrempeln, mit Zustimmung Herrn Hofers? Oder haben es Putin und Co. dort momentan nicht so eilig wie noch auf der Krim?

Dr. Olexander Scherba steht seit 1995 im diplomatischen Dienst der Ukraine und ist seit November 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2016)

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