Wirtschaftspolitik steckt in der Klemme

Es ist stark zu bezweifeln, dass eine Beschleunigung des gegenwärtig unzureichenden Wirtschaftswachstums mittels Geldpolitik oder aber über eine Ankurbelung der staatlichen Nachfrage zu erreichen ist.

Die globale wirtschaftliche Situation hat sich in den vergangenen Monaten trotz vielfach eingesetzten Zweckoptimismus nicht verbessert, sondern verschlechtert. Was können also die politischen Entscheidungsträger tun, um dem Wachstum wieder einen neuen Impetus zu geben und die Inflationsrate auf das gewünschte Niveau anzuheben?

Von den beiden klassischen Möglichkeiten der Zyklusstabilisierung – nämlich der Geldpolitik auf der einen und der Fiskalpolitik auf der anderen Seite – jedenfalls sind keine großen Impulse mehr zu erwarten.

Ausgereizte Geldpolitik

Bekanntlich hat die EZB die Geldpolitik längst bis zum Äußersten ausgereizt. Der Leitzins liegt bei null Prozent, die Geldmengenpolitik wird weiter exzessiv fortgesetzt. Sie soll zu einer Erhöhung der Liquidität der Banken und somit zur Vergabe von Krediten an die Realwirtschaft führen.

Das Problem dabei ist, dass der Gleichgewichtszinssatz, den man als Zinssatz bei Vollauslastung der Kapazitäten ohne Inflationstendenzen definieren kann, schon seit Jahrzehnten eine leicht sinkende Tendenz zeigt und sich gegenwärtig auf einem historisch niedrigen Niveau bewegt.

Hinzu kommt, dass die Zentralbanken alles tun, um die Zinssätze so weit als möglich zu drücken. So liegt der Hauptrefinanzierungssatz seit Kurzem bei -0,0 Prozent; der Zins der Einlagefazilität bei -0,4 Prozent. Die EZB greift zu diesem Schritt, um die Gefahr einer Deflation zu bekämpfen und die Inflationsrate anzuheben.

Das Standardinstrument der Geldpolitik, nämlich die Senkung des Zinssatzes, kann demnach gegenwärtig nicht mehr eingesetzt werden. Also greifen die Zentralbanken zu anderen Strategien. Zunächst sind die Geschäftsbanken überreichlich mit Liquidität versorgt worden, um eine drohende Kreditklemme zu verhindern.

Seit Jänner 2015 kauft die Europäische Zentralbank Wertpapiere (insbesondere Covered Bonds und Asset Backed Securities) von europäischen Geschäftsbanken in der Größenordnung von 60 Milliarden Euro monatlich. Seit Kurzem ist diese Ermächtigung auf 80 Milliarden Euro monatlich erhöht worden. Zusätzlich wurde das Kaufprogramm auf Unternehmensanleihen ausgedehnt. Eine deutliche Belebung der Realwirtschaft hat sich dadurch bis jetzt nicht ergeben.

Warum schlagen all diese Maßnahmen fehl? Die Kreditwirtschaft kann zwar Kredite anbieten, die Investitionen, die damit finanziert werden sollen, kann sie aber nicht befehlen. Mangelnde Investitionen führen auch zu einem geringeren Produktivitätswachstum in den folgenden Jahren.

Da auch das Produktivitätswachstum seit Jahrzehnten langsam sinkt, bekommt das Wachstum der Investitionen eine Schlüsselrolle im gewünschten wirtschaftlichen Gesundungsprozess. Darüber hinaus führt die allgemeine Zukunftsskepsis zu höheren Sparquoten und trägt damit zum Sinken der Zinssätze bei.

Das letzte Wundermittel

Strategien, die versuchen, die oben dargestellten Begrenzungen der Geldpolitik zu umgehen und Chancen von praktischer Relevanz haben, sind kaum vorhanden. Allerdings wird von etlichen Experten ein letztes Wundermittel vorgeschlagen: Helicopter Money. Der Ausdruck wird Milton Friedmann zugeschrieben. Die Idee ist, dass dem Staat und privaten Haushalten Geld ohne Gegenleistung – quasi aus der Luft – zur Verfügung gestellt wird. Friedmann wollte damit die Proportionalität von Geldmenge und Güterpreisniveau unterstreichen.

Dieses ursprünglich theoretisch gemeinte Konzept wurde von der US-Regierung unter George W. Bush in der Rezession von 2009 in einer Verzweiflungstat tatsächlich ernst genommen. So wurden amerikanischen Haushalten Geldmittel in Form von Steuerschecks zur Verfügung gestellt. Die als Stimulus für die Realwirtschaft gemeinte Aktion verpuffte und hat kaum Wirkung gezeigt.

Wie weit die Ratlosigkeit und Panik bei der Europäischen Zentralbank schon um sich gegriffen hat, zeigt, dass genau dieses Konzept von Präsident Mario Draghi kürzlich als „sehr interessant“ bezeichnet wurde. Sollte dieses Konzept tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, dürften schon nach kurzer Zeit die bekannten alten Probleme wieder zutage treten, die unser wirtschaftliches Wachstum behindern.

Fiskalpolitik als Ausweg?

Könnte die Fiskalpolitik, das heißt das Ersetzen privater Nachfrage durch staatliche Nachfrage, einen Ausweg bieten? Auch mit der Fiskalpolitik sind die Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte wenig ermutigend. Außerdem ist zu bedenken, dass nur etwa zehn bis 15 Prozent der Investitionen vom Staat kommen.

Damit unterliegt der allergrößte Teil der Investitionen privatwirtschaftlichen Rentabilitätskalkülen. Wenn man nach staatlichen Investitionen ruft, die über die zehn bis 15 Prozent der Gesamtinvestitionen hinausgehen, dann können diese Projekte nur über Staatsschulden finanziert werden. Da die Staatsverschuldung bereits heute sehr hoch ist, würde dies die Finanzmärkte beunruhigen und Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit des Staates auslösen. Damit aber wird der Zinssatz für das Kapital, das auf dem Markt ausgeliehen werden muss, steigen, was allein schon den Rahmen zukünftiger Staatsausgaben stark einschränkt.

Das Beispiel Japan

Der Staat, der am meisten den keynesianischen Prinzipien folgte, ist Japan. Seit Beginn der großen Krise 1991 liegt die japanische Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt bis heute bei unter einem Prozent. In zahlreichen Staatsausgabenoffensiven sollte die Konjunktur positiv beeinflusst werden. Tatsächlich ist jedes Mal die Staatsverschuldung gestiegen und hat einen Wert von etwa 250 Prozent des BIPs erreicht.

Dass dies nicht zum Kollaps der Staatsfinanzen geführt hat, ist allein darauf zurückzuführen, dass japanische Anleihen fast ausschließlich bei japanischen Banken und Versicherungen liegen. Auch geldpolitisch hat Japan sämtliche Möglichkeiten – einschließlich eines negativen Zentralbankenzinssatzes – ausgeschöpft.

Es ist also stark zu bezweifeln, dass eine Beschleunigung des unzureichenden Wirtschaftswachstums, die Erhaltung des Wohlfahrtsstaates sowie die Erhöhung der Ausgaben für Bildung und Forschung etc. mit Geldpolitik und Verschuldung zu erreichen sind.

Vor allem die Geldpolitik, teilweise aber auch die Fiskalpolitik waren immer als Instrumente zur Stabilisierung des Wirtschaftszyklus gedacht. Heute wird oft die Geldpolitik zu einer wachstumskompatibleren Politik aufgefordert, wofür sie primär nicht geeignet ist.

Will der Staat also zu mehr Wachstum beitragen, kann er dies nur tun, wenn er Maßnahmen setzt und Institutionen schafft, die Anreize bilden, um mehr Arbeit und Kapital anzubieten und diese effizienter einzusetzen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Bernhard Felderer (* 1941 in Klagenfurt) studierte Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Wien und Paris. Lehrtätigkeit an mehreren Universitäten. 1991–2012 Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Er war Mitglied und Präsident des Staatsschuldenausschusses, seit 2013 ist er Präsident des österreichischen Fiskalrates. [ Clemens Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)

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