Die EZB und das Heranschwellen der nächsten Blase

Platzt die Immobilienblase, wird es zum GAU für den Euro kommen.

Die Maßnahmen der europäischen Zentralbank haben viele Beobachter schockiert. Da wird der Hauptrefinanzierungssatz auf null gesetzt, die monatlichen Anleihekäufe werden um 20 Milliarden aufgestockt, der Zins auf die Einlagen der Banken bei der Notenbank wird auf –0,4 Prozent gesenkt, und die EZB vergibt Kredite mit negativen Zinsen von ebenfalls bis zu –0,4 Prozent.

Es gibt viele vordergründige Erklärungen für diese Politik. Im Kern aber handelt es sich um den Versuch der EZB, sich dem Platzen der Blase entgegenzustellen, die der Euro anfangs in den südeuropäischen Ländern hervorgerufen hatte, nachdem schon seine Ankündigung beim Gipfel von Madrid 1995 die Zinsen purzeln ließ.

Die Zinssenkung trieb die Länder Südeuropas in eine inflationäre Kreditblase, die die Güter- und Immobilienpreise relativ zu Deutschland und anderen nördlicheren Ländern explodieren ließ und die Wettbewerbsfähigkeit lädierte. Als die Blase platzte, versuchte die EZB, die Rückkehr der total überhöhten Preise auf ihr Gleichgewichtsniveau mit der Druckerpresse und der Abgabe umfangreicher Haftungsversprechen gegenüber den Investoren zu verhindern. Auch die neuesten Maßnahmen der EZB sind so zu interpretieren.

Die Droge des billigen Kredits

Diese Politik war zur Zeit der Lehman-Krise angemessen, weil die ganze Welt einen Kollaps erlitten hatte. Doch als die Weltwirtschaft im Herbst 2009 wieder anzog, wurde sie zunehmend problematisch, weil sie in den südlichen Ländern strukturelle Reformen entbehrlich machte und die im Vergleich zum Norden notwendige Disinflation hinauszögerte, wenn nicht gar, wie in Portugal und Italien, verhinderte.

Südeuropa war der Droge des billigen Kredits verfallen. Doch anstatt den Entzug zu organisieren, besorgte die EZB Ersatzdrogen, als der normale Zustrom von Drogen in Form privater Kapitalzuflüsse versiegte und Kopfschmerzen einsetzten. Sie schuf Junkie-Ökonomien, die ohne Drogen nicht mehr leben können.

Achtung, Ansteckungsgefahr!

Aber das ist nicht der einzige Nachteil der EZB-Politik. Als das größte Problem könnte sich erweisen, dass durch die Politik des billigen Geldes nun auch die bisher noch gesunden Volkswirtschaften des Eurosystems drogenabhängig werden. Anzeichen dafür gibt es bereits. So sind die Immobilienmärkte Deutschlands, Luxemburgs und Österreichs in der Krise außer Rand und Band geraten, weil die Banken den Käufern das Geld hinterherwerfen. In Österreich sind die Immobilienpreise seit dem Ausbruch der Lehman-Krise um bald die Hälfte gestiegen, in Luxemburg um fast ein Drittel.

Selbst Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, erlebt seit 2010 einen gewaltigen Immobilienboom. So gingen die Preise der Immobilien in den Städten seither um mehr als ein Drittel nach oben, in den Großstädten stiegen sie sogar um fast die Hälfte. Ein Bauboom hat das Land erfasst, wie er seit der deutschen Vereinigung nicht mehr zu beobachten war. Nur noch Ladenhüter gehen heute über die Theken der Makler.

Noch wäre der deutsche Immobilienboom durch energische Zinserhöhungen beherrschbar. Angesichts der wilden Entschlossenheit aber, mit der die EZB in die Gegenrichtung marschiert, muss man eine weitere Vergrößerung der Blase erwarten, bis sie gefährlich wird. Platzt sie, wie es Immobilienblasen zu tun pflegen, käme es zum GAU für den Euro. Dafür würde die neue eurokritische Partei AfD, die bei den letzten Landtagswahlen bereits fulminante Erfolge feiern konnte, schon sorgen.

Professor Hans-Werner Sinn war 17 Jahre lang Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Berater des deutschen Wirtschaftsministeriums.
Copyright: Project Syndicate, 2016.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)

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