Putin, Orbán, Kaczyński: Wir werden, was wir hassen

Als hätte die EU nicht schon genug Probleme mit Moskau, hat sie jetzt auch noch Putin-Imitatoren in den eigenen Reihen.

Eine der traurigsten Ironien des diesjährigen 25. Jahrestags des Zusammenbruchs der Sowjetunion ist die Tatsache, dass Ungarn und Polen – immer die ruhelosesten im sowjetischen Reich gefangener Nationen – nun von Männern geführt werden, die den Regierungsstil des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, nachahmen. Auch sie höhlen die unabhängigen demokratischen Institutionen aus, auch sie unterdrücken die grundlegenden Freiheiten der Bürger. Wie das alte Sprichwort sagt: Wir werden, was wir hassen.

Nach dem Sturz des Kommunismus erklärten Polen und Ungarn, dass sie nun keine osteuropäischen Länder mehr seien. Stattdessen seien sie Teil Mitteleuropas. Heute jedoch verfolgen sie einen Autoritarismus im Stile Putins, der so weit geht, dass die EU möglicherweise Sanktionen gegen sie verhängen wird. Diese Verwarnungen sind völlig berechtigt.

Polen wird vom früheren Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński kontrolliert, dem starken Mann der rechtsgerichteten Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS). Kaczyński ist der Zwillingsbruder des 2010 bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe des russischen Smolensk ums Leben gekommenen Präsidenten Lech Kaczyński. Obwohl der Absturz als Unfall angesehen wird, bezeichnet ihn die PiS als Ergebnis einer Kreml-Verschwörung: eine paranoide Anschuldigung – und umso bizarrer angesichts von Kaczyńskis offensichtlicher Entschlossenheit, Putin nachzueifern.

Verachtung des Rechtsstaates

Kaczyński und Putin eint sicherlich ihre Verachtung für den Rechtsstaat. In Russland gehört die Manipulation von Gerichtsverfahren gegen vorgebliche Regimefeinde zu den bevorzugten Taktiken des Kreml. Dazu gehörten in der Vergangenheit der frühere Ölmagnat Michail Chodorkowskij, der Putins Eignung als Präsident angezweifelt hatte, der Anwalt und Korruptionsbekämpfer Alexei Nawalny, der Putins Vermögen untersucht hatte, oder die Punkrock-Band Pussy Riot, die sich über die russisch-orthodoxe Kirche, eine wichtige Stütze Putins, lustig gemacht hatte.

Erst vor Kurzem wurde die ukrainische Hubschrauberpilotin Nadija Sawtschenko in einem Schauprozess auf der Grundlage gefälschter Beweise, denen zufolge sie für die Tötung zweier russischer Journalisten in der Ostukraine verantwortlich sei, zu 22 Jahren Haft verurteilt.

Die polnische Regierung ihrerseits hat die Ernennung von drei Verfassungsrichtern, die noch von der Vorgängerregierung eingesetzt worden waren, storniert. Zudem hat sie das Gericht kastriert, indem sie Richtern verboten hat, die Verfassungskonformität von Gesetzen infrage zu stellen oder nicht vom Parlament gebilligte Entscheidungen der Exekutive zu untersuchen.

Unter Ausnutzung einer Lücke im polnischen Rechtssystem weigern sich die Behörden auch, einige Entscheidungen des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen – ein Schritt, der die Macht des Gerichtes im Wesentlichen nullifiziert, da unveröffentlichte Entscheidungen offiziell keine Rechtskraft genießen.

„Illiberale Demokratie“

Bei ihrer Reaktion auf die Protestbewegung, die sich als Antwort auf ihre Maßnahmen gebildet hat, orientiert sich die polnische Regierung am Kreml. Sie denunziert die Oppositionsbewegung als „vaterlandsfeindlich“ und von „ausländischen Interessen gesteuert“.

Die Medien sind ein weiterer Bereich, in dem Kaczyński an der Weichsel die Politik des Kreml imitiert. In Russland entzog in den 2000er-Jahren die Putin-Regierung unabhängige Fernsehstationen wie NTV und ORT (später Kanal 1) ihren jeweiligen Eigentümern, dem Medienmogul Wladimir Gussinskij und dem inzwischen verstorbenen Boris Beresowskij, die Putin beide als Feinde betrachtete. Die Regierung in Warschau hat vor Kurzem ähnliche Gesetze verabschiedet, die es der Regierung unter anderem gestattet, die Leitung von Fernsehsendern einzusetzen, um sich so die politische Gefolgschaft dieser Sender zu sichern.

Nicht besser ist die Lage in Ungarn. Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit als Regierungschef 2010 steuert Viktor Orbán konsequent sein Land in Richtung „illiberaler Demokratie“. Orbán leitete umgehend Verfassungsänderungen ein, um die Macht seiner Fidesz-Partei zu konsolidieren und die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts zu begrenzen.

Fidesz – hoch oben und überall

Zudem hat Orbán – wie zuvor auch schon Putin und jetzt eben Kaczyński – die Medien unter seine Kontrolle gebracht. Neue Gesetze gestatten der Regierung, Medieninhalte zu bestimmen, Sanktionen gegen Medien zu verhängen sowie Sendelizenzen an bevorzugte Sender zu vergeben.

Diese Gesetze sorgen zugleich für die bevorzugte Behandlung von Fidesz-Werbung, etwa durch Beschränkung der Standorte von Plakatwänden der Opposition und von Botschaften durch NGOs. Der Slogan „Nur Fidesz!“ zusammen mit dem Bild eines grinsenden Orbán ist landesweit auf 4,5 Meter hohen Gerüsten plakatiert.

Natürlich ist die Verehrung des Vaters der Nation in Ländern mit freiheitsfeindlichen Regierungen nichts Neues. Ähnliche Plakatwände – geschmückt mit Porträts der politischen Führer von Lenin bis Leonid Breschnjew – säumten einst die Straßen der Sowjetunion. In ähnlicher Weise waren, wie ein Beobachter vor Kurzem feststellte, im Rumänien der 1980er-Jahre die Straßen mit Schildern gesäumt, die die Tugenden des kommunistischen Diktators Nicolae Ceauşescu proklamierten.

Auch wenn auf den Straßen Russlands heute keine Porträts von Putin zu sehen sind, fehlt es im staatlichen Fernsehen nicht an pausenlosen Berichten über ihn. In Putins frühen Jahren an der Macht propagierte er ein Regime auf der Grundlage der „souveräner Demokratie“ und erklärte, dass Russland ein „besonderes System“ brauche, um sich vor seinen in- und ausländischen Feinden zu schützen.

Kaczyński und Orbán geben sich derselben Vorstellung hin, wobei ihnen die Ironie der Verwendung des Wortes „Souverän“ – eines Begriffs, der in der Regel auf einen Monarchen und nicht einen demokratischen Regierungschef angewandt wird – anscheinend völlig entgeht. Tatsächlich ist das, was Putin geschaffen hat und dem Kaczyński und Orbán nacheifern, eher eine „souveräne Diktatur“.

Belastungsprobe für die EU

Für die EU wäre der Umgang mit Russland, das sich zuletzt als Nemesis des Westens positioniert hat, allein schon schwer genug. Nun muss es auch noch mit den demokratiefeindlichen Putin-Nacheiferern in ihren eigenen Reihen fertig werden – und das zu einer Zeit, in der die europäische Einheit auf Schritt und Tritt untergraben wird.

Die Frage ist, ob die EU ihren angedrohten Sanktionen gegen Polen und Ungarn Taten folgen lässt oder ob sie um der Einheit willen auf Maßnahmen gegen im Entstehen begriffene freiheitsfeindliche Regime in zwei Ländern, die einst als postsowjetische Hoffnungsträger galten, verzichten wird.

Aus dem Englischen von Jan Doolan - Copyright: Project Syndicate, 2016.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin

Nina L. Chruschtschowa (*1964) studierte an der Moskauer Staatsuniversität und dissertierte an der Universität Princeton. Sie ist die Enkelin des früheren Sowjetführers Nikita Chruschtschow. Derzeit ist sie stellvertretende Dekanin der New School und Senior Fellow am World Policy Institute, an dem sie das Russland-Projekt leitet. Ihr neues Buch: „The Lost Khrushchev: Journey into the Gulag of the Russian Mind“. [ Project Syndicate ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2016)

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