Dumm, dümmer, Wahlkampf im Fernsehen

Das Fernsehen in Österreich – egal ob privat oder öffentlich-rechtlich – ist im Lauf des jetzigen Wahlkampfs um das Bundespräsidentenamt zum Heimabend mutiert. Motto: Ganz Österreich ein einziges Pfadfinderlager.

Nichts habe ich in meinen Jahren als Internatszögling mehr gehasst als die sogenannten Heimabende. Da waren witzloser Spaß und öde Spiele unter Leitung der Obrigkeit angesagt. Nicht Wein, Weib und Gesang gab es, sondern geistlose, jedoch von der katholischen Erziehungsbehörde genehmigte Gesellschaftsspiele wie „Ich bin der Baum“, „Willst du mich heiraten“ oder gar ein heiteres „Fragespiel mit Bibelfiguren“.

Meine Freude war erst dann grenzenlos, als ich dem Internat und diesem Schwachsinn mit 14 Jahren entronnen war. Meine Freude erwies sich dieser Tage als eine einigermaßen verfrühte.

Denn seit der Wahlkampf um das Bundespräsidentenamt mit lähmender Urgewalt aus- und über uns hereingebrochen ist, werde ich das Gefühl nicht los, von einer unbarmherzigen Zeitmaschine rücksichtslos zurück in die Vergangenheit katapultiert worden zu sein. Das Fernsehen, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, mutierte zum Heimabend. Motto: Ganz Österreich ein einziges Pfadfinderlager.

Setteles Orakel-Spiele

Da müssen die Kandidaten erklären, welche Frucht sie gerne wären, dröge Hymnen erkennen, oder vormachen, wie sie grausig aussehende, matschig-bunte Gerichte eines äthiopischen Meisterkochs zu verspeisen gedenken – mit Besteck oder mit den Fingern. Falsch! Der weltgewandte UHBP tut dies mittels von einem Fladenbrot heruntergerissener Teigfetzen, mit denen er das eklige Zeug umgreift und dezent ins Mäulchen schiebt, ohne sich die gepflegten Fingerchen zu beschmutzen. Die Kandidaten eins und zwei versagen, erzielen null Punkte, gehen hungrig heim und haben sich fürs Amt disqualifiziert.

Herr Settele nötigt die Kandidaten zu dümmlichem Orakel-Spiel, unterboten nur noch von den holprigen Reimen, mittels derer das Orakel sich äußert – während er selbst als Chauffeur dabei das Wichtigste aus dem Auge verliert: die vor ihm liegende Straße. Schon hoffte man, durch Setteles beherztes Wegschauen würde der Wählerschaft dank einer unfallbedingten Reduktion der Kandidatenanzahl eine kleine Hilfestellung beim Kreuzerlmachen gewährt. Aber erstaunlicherweise erreichte das Wahlfahrt-Taxi jedes Mal unfallfrei sein Ziel. Diese Form der Politikerbefragung wurde damit gerechtfertigt, dass die Leute auch etwas über den Menschen erfahren wollen, der UHBP werden will.

Und was haben wir erfahren? Dass Herr Hofer gern schießt und auch sonst ein richtig lustiger Kampl ist. Oder Herr Khol im Alter von 15 Jahren „Weiber“ angeschaut hat, so wie sein Sohn im selben Alter die Kühe. Das nenne ich eine echte Hilfe bei der Wahlentscheidung. Auch die Erkenntnis, dass Van der Bellen eher einem grantigen Wiener denn einem knorrigen Tiroler ähnelt, bringt mich echt weiter. Frau Griss verschlug es die Sprache ob der Zumutungen. Mir – vor dem Fernseher lungernd – auch.

Der Druck der Medien

Hundstorfer war, was er immer war: Gewerkschaftsfunktionär. Betonung auf Funktionär. Nicht einmal, dass der gute Mann einst im Hundereferat der Gemeinde Wien seine steile Karriere begann, konnte Settele ihm entlocken. Diese wahlentscheidende Erkenntnis verdanken wir wie so oft dem volksnah gebauten Wiener Bürgermeister Häupl und nicht den niveauvollen Fernsehrunden.

Welchen Erkenntnisgewinn dieses (wenig) heitere Bestiarium bringen soll, wissen wohl selbst die Erfinder der dümmlichen Spiele nicht. Aber Quote und Erkenntnis schließen einander angeblich aus. Eine traurige Erkenntnis gibt es allerdings: Wer sich all diesen Unsinn antut, sich dem von diesen Medien gemachten Druck beugt, der hat sich eigentlich für das Amt bereits disqualifiziert. Nur: Dann hätten wir keine Wahl mehr, weil niemand übrig bliebe, den wir wählen könnten.

Offensichtlich wird nicht ein Staatsnotar mit Zusatzfunktionen (Absetzung diverser Regierungen, böses Dreinschauen bei Angelobungen) gesucht, sondern ein infantiles Heimabend-Universalgenie. Denn einer, der bei der „Reise nach Jerusalem“ den letzten Sessel ergattert (so wie jetzt der neue Innenminister), der ist für alle Irrfahrten des Politikerlebens bestens gewappnet – insinuiert zumindest der bisherige Fernsehwahlkampf.

Es scheint, als seien im intellektuellen Downsizing-Wettbewerb zwischen privatem und öffentlichem Fernsehen alle Latten so tief gelegt worden, dass selbst geübte Limbotänzer nicht mehr unter ihnen durchkommen. Das berüchtigte Unterschicht-Fernsehen ist Mainstream geworden.

Zurück zum Kleinkind

Man sollte nicht den Fehler begehen, die Infantilisierung von Wahlkämpfen für ein isoliertes Phänomen zu halten. Wie erwachsen ist es, „Shoppen“ als Hobby zu betreiben? Die Bedienung von Handys ist an Doofheit kaum noch zu unterbieten: Menschenmassen in der U-Bahn geeint durch Wischwisch, gekrümmten Rücken und stieren Blick auf das Display. Die Handy-Betriebssysteme erziehen die Menschen zu Dodeln. Die Geräte herrschen über die Nutzer.

Kürzlich ein Aha-Erlebnis beim Empfang einer Postsendung. Der Paketausträger der Post hält mir ein Kasterl hin, ich solle unterschreiben. Meine Frage nach dem Stift stößt auf schieres Unverständnis: „Du Finger!“ Schreibwerkzeug abgeschafft, ich schmiere mit der Fingerspitze eine kaum erkennbare Unterschrift auf das Display.

Es geht flott ein paar Evolutionsschritte Richtung früherer Entwicklungsstadien. Spracherkennung in Tatgemeinschaft mit der bekannt zuverlässigen Rechtschreibprüfung führen uns zurück zum Gestammel des Kleinkinds.

„Kotzendes Känguru“

Rückentwicklung wird zum gesellschaftlichen Prinzip, so scheint es manchmal. Die Politik gefällt sich darin, beim ihr von den Medien angetragenen Regressionswettlauf eifrig mitzuspielen, anstatt endlich etwas gegen die Bildungsmisere und zunehmendes Analphabetentum zu unternehmen. Auch der grassierende funktionale Analphabetismus wird ignoriert. Kein Wunder, wenn man dann in der Folge Wahlwerbung nach den Methoden des Vorschulkindergartens betreiben muss.

Da so bald keine Besserung zu erwarten ist, schlage ich für eine der nächsten Wahlsendungen das wunderbare, traditionsreiche und symbolstarke Spiel „Kotzendes Känguru“ vor. Die Spielregeln sind einfach und für Volk und Kandidaten leicht verständlich. Drei Mitspieler stehen nebeneinander. Der rechte und der linke Spieler halten ihre Hände vor den in der Mitte stehenden und formen dabei eine Art Eimer. Der mittlere Spieler tut, als ob er in diesen Eimer kotzen würde. Dabei gibt er entsprechende Brechlaute von sich.

Für den nächsten Tag der offenen Tür in der Hofburg bietet sich dann das durchaus anspruchsvolle Programm „Anmäuerln mit dem UHBP“ an. Es geht schließlich um die Quote, und man muss die Leute dort abholen, wo man sie vorher hingebracht hat.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Amon
(*1954 in Wien) lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist außerdem geschäftsführender Gesellschafter einer kleinen Steuerberatungskanzlei. Der vierte Band seiner „Wiener Bibliothek der Vergeblichkeiten“ (Echomedia Buchverlag), „Der Preis der Herrlichkeit“, wird im Spätsommer erscheinen. Sein jüngstes Buch: „Panikroman“, das Psychogramm eines Börsenhändlers. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2016)

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