Schöpferische Zerstörung

Österreichs politische Landschaft im Umbruch: Das Alte ist noch nicht ganz weg, das Neue noch nicht ganz da.

Zuletzt haben sich in den Medien des Landes die Kommentare gehäuft, in denen die Bundespräsidentschaftswahl als ein Wendepunkt für das politische System dargestellt wurde. Als Grund dafür wird das sich abzeichnende Waterloo für SPÖ und ÖVP angeführt. Von „Auflösungserscheinungen“ und „Endzeitstimmung“ ist da die Rede. Gleichzeitig können die Kommentatoren „noch keine zukunftsträchtigen Muster“ ausmachen, wiewohl sie daran glauben, „dass andere Angebote“ ganz sicher kommen werden.

Gemäß dem Diktum „Was Peter über Paul sagt, sagt immer auch etwas über Peter aus“ sollte den Leitartiklern dieses Landes etwas zurückgespiegelt werden: dass nämlich diesen Kommentaren die Erwartung zugrunde liegt, dass plötzlich eine fixfertige neue politische Landschaft entsteht. Das Neue, das bereits da ist, wird als nicht tragfähig oder aber überhaupt nicht wahrgenommen.

Letztlich ist das Denken in revolutionären Dimensionen die Hoffnung, dass das politische System aus einem offenbar nicht mehr zukunftsfähigen Zustand in einen neuen, nachhaltigen kippt. Ja, hier wartet etwas auf Zerstörung. Aber Revolution ist die falsche Metapher – nicht nur, weil solche Umstürze in der Geschichte selten friedlich abgelaufen sind.

Hohe Eintrittshürden

Der politische Markt in Österreich braucht keine Revolution, er braucht Disruption. Um mit Joseph Schumpeter zu sprechen: Das österreichische politische System wartet auf seine schöpferische Zerstörung. Diese aber ist schon längst im Gange.

Der Begriff Disruption geht auf Clayton Christensen von der Harvard Business School zurück und bezeichnet eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein Produkt oder eine Dienstleistung vom Markt verdrängt. Anfangs sind solche disruptiven Produkte und Dienstleistungen etablierten Produkten oft unterlegen – etwa aufgrund der erst einmal zu überwindenden Markteintrittshürden.

Diese Eintrittshürden sind bei politischen Systemen wie dem in Österreich außerordentlich hoch. Ist die Nachfrage aber gegeben, kann es sehr schnell gehen – wie beispielsweise die Wahlerfolge von Ciudadanos und Podemos in Spanien gezeigt haben. Auch Frankreich hat mit En Marche seit Kurzem eine potenziell disruptive Partei, die mutatis mutandis auch für ein Zweiparteiensystem wie jenes der USA, deren politischer Markt auch dringend eine Innovation brauchen würde, wegweisend sein könnte.

Der Punkt bei der Disruption ist die Gleichzeitigkeit des Alten und Neuen: Das Alte ist noch nicht ganz weg, das Neue noch nicht ganz da. Aber es schlägt bereits Wurzeln in der Gegenwart. So formiert sich im linken politischen Spektrum zweieinhalb Jahre vor der nächsten Nationalratswahl die Onlineplattform Mosaik, auf der Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten publizieren.

Um mit den Worten William Gibsons, des Visionärs und amerikanischen Science-Fiction-Autors, zu sprechen: Die Zukunft der österreichischen Politik ist schon hier, sie ist nur ungleich verteilt.

Mag.Josef Lentsch, MPA (39), ist Direktor der Parteiakademie Neos Lab. Der ehemalige Unternehmer studierte Psychologie an der Universität Wien und Public Administration an der Harvard University.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2016)

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