Rettung der ÖVP durch einen "Kurz-Schluss"?

Die Volkspartei auf Bundesebene rinnt aus. Auch ein Blick in die Bundesländer verheißt wenig Gutes für die Zukunft.

Für die taumelnden Regierungsparteien schaut es derzeit nicht nach Stabilisierung aus. Die alte Erkenntnis „Erst als sie die Antwort vernahmen, verstanden sie die Qualität ihrer Frage“ wirkt nicht. Die falschen Kandidaten wurden vom Elektorat mit einem Preisschild versehen. Aber weit und breit keine Vorwärtsstrategie von SPÖ und ÖVP.

Die SPÖ-Spitze hat sich auf eine eindeutige Wahlempfehlung nicht einigen können, vielmehr sieht es nach einer Empfehlung für beide Kandidaten aus. Mit gezogener Pistole wurde das Duell vertagt. Das Einzige, was vergangene Woche aus der SPÖ-Vorstandssitzung herauskam, waren die Teilnehmer aus dem Sitzungszimmer.

Da sind am 24. April zwei Parteien schlicht und einfach ausgeronnen, jetzt präsentieren sie sich leer, ausgelutscht, verkommen. Bei der SPÖ sind wenigstens noch vernehmbare Meldungen aus den Bundesländern auszumachen. Bei der ÖVP gibt es nicht einmal mehr das. In St. Pölten ist man damit beschäftigt, den Hof an die erste Magd zu übergeben, die – nachdem sie sich im Bund austoben durfte – wieder am Familientisch Platz nimmt. Der Parteichef von Oberösterreich bereitet sein Ausgedinge vor und wird als Chef der Senioren in Stellung gebracht, nachdem dort nach dem Abgang von Andreas Khol die Chance auf Neuerungen besteht.

Im Westen nichts Neues

Eingebettet in Schwarz-Grün, was inhaltlich letztklassig und strategisch nicht nachhaltig ist, findet sich der niederschmetternde Befund: „Im Westen nichts Neues.“ Es war die glückliche Fügung in Oberösterreich, dass mit der dortigen Koalition von ÖVP und FPÖ ein anderes Regierungsformat aufgesetzt wurde, dessen konzeptionelle politische Vorlagen für die schwankende Bundesregierung einen letzten Strohhalm darstellen könnten.

Wäre der oberösterreichische Landeshauptmann, Josef Pühringer, je ein Stratege gewesen, er hätte seinem Bundesland die suboptimale Regierungsformation von Schwarz-Grün erspart und vor allem nicht als Vorbild gewirkt, das seine Kollegen von Salzburg bis Bregenz lemminghaft nachgeahmt haben. So muss Pühringer sich noch in den ausgehenden Amtstagen einer neuen Regierungskultur der Heimatorientierung und Bürger-Achtung stellen, die in die Linzer Regierungsstuben eingezogen ist und den Mief grüner Besserwisserei und des pharisäerhaften Auserwähltseins abgelöst hat.

Dass die steirische Landespolitik das landestypische Edelschmankerl des „Verhackerten“ auf die Politikgestaltung ausdehnt, ist unverzeihlich. Der steirische Bürger hat anlässlich der Landtagswahlen 2015 gesprochen und er sollte auch gehört werden. Das Wahlergebnis dann bis zur Unkenntlichkeit zu faschieren und die Regierungsbildung nach persönlichen Vorlieben und taktischen Machtspielen vorzunehmen, zeugt nicht von demokratischer Reife.

Das steirische Wahlergebnis war kein Signal für einen ÖVP-Landeshauptmann, das hätte auch die SPÖ erkennen sollen. Der dortige SPÖ-Chef ist ein ordentlicher Mann – noch ziemlich jung, wenn er auch nicht Sebastian Kurz, sondern Michael Schickhofer heißt.

Die Steiermark hat sich mit dieser abgehobenen Willkür der Herrschaft der Eliten nichts Gutes getan – Umsetzung eines Wählerauftrages schaut anders aus. Gefesselt in einer solch schwierigen Situation, ist aus dem Süden kein Erneuerungspotenzial für die Bundes-ÖVP zu erwarten.

Da können auch die Personalspenden der steirischen ÖVP für den Bund nichts ausrichten – sind diese doch weniger im Gespräch, dafür aber ständig im Gerede.

Kollaps kommt im Jahr 2017

Die sattsam bekannten ÖVP-Sorgenkinder – die Landesorganisationen in Burgenland, Kärnten und Wien – sind in einem Zustand tiefster Depression. Im Burgenland ist man Opfer der eigenen Insuffizienz, in Wien werden die Potenziale im Frauenbereich mit tüchtigen Landtagsabgeordneten und Bezirksvorsteherinnen, die ihre eigene Landespartei alt ausschauen lassen, nicht gepflegt. Da sprießt sehr viel, man wäre da nicht auf ein Blümel, einen vom Bund eingesetzten Landesobmann angewiesen, der im künstlich angelegten Biotop gedeihen soll.

Ob sich die Kärntner ÖVP von den Wunden, die einst die Interventionen von Wolfgang Schüssel und Khol bei der Personalauswahl in Gestalt des späteren Gefängnisinsassen Josef Martinz hinterlassen haben, so schnell erholen wird, ist auch eher fraglich.

Dieser Tour d'Horizon stützt die Plausibilität einer bereits im Jahre 2013 von einem angesehenen Wiener Politik-Beratungsbüro gemeinsam mit den Qualitätsmedien „Die Zeit“ und „Die Presse“ herausgegebenen Arena-Analyse, die den Kollaps der ÖVP-Bundespartei für das Jahr 2017 prognostiziert hat.

Politik ist nicht nur Mundwerk

Es ist schmerzvoll festzustellen, dass die ÖVP es nicht geschafft hat, sich die richtigen Fragen zu stellen und Antworten darauf zu bewerten. Ein früherer Spitzenparlamentarier brachte es auf den Punkt: „Wir müssen uns fragen, wie Personen sich 30 Jahre in den obersten Bereichen der Partei halten konnten, dabei die Partei auf ihrem Abwärtstrip von 45 auf knapp über 20 Prozent begleiteten – um dann als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl nicht einmal 15 Prozent in die Waagschale zu bringen.“ Man kann eben Politik mit nichts so entwerten wie mit der Auswahl schwacher Persönlichkeiten.

Ein Außenminister als perfekter Verschnitt von Max Raabe und Leonardo di Caprio mag der Schwarm aller österreichischen Schwiegermütter sein und auch alle Popularitätsrankings anführen. Aber er wird auch etwas bringen müssen: Erfolgloses Wahlkämpfen von Wien über Graz bis nach Mainz ist zu wenig. Eine unsolidarische und daher keineswegs nachhaltige Lösung der Flüchtlingsfrage stellt auch keine Empfehlung für Höheres dar.

Und doch könnte die Versuchung groß sein, dem Sieger des Beliebtheitsrankings noch mehr an Funktion umzuhängen. Politik ist allerdings nicht nur Mundwerk, sondern auch Handwerk.

Ein Vergleich mit der Schweiz

Es ist gut, im Bilde zu sein, und Selfies können hier gute Dienste leisten. Es wäre aber gut, wenn man sich auch in den Themen fit präsentiert. Vergleicht man etwa die österreichische Integrationskompetenz, für die Sebastian Kurz seit fünf Jahren federführend steht, mit jener des Nachbarn Schweiz, die in den vergangenen Jahren einen positiven Bevölkerungssaldo von plus 70.000 Menschen pro Jahr aufweist und deren Bevölkerung in den letzten 60 Jahren um 60 Prozent von 4,8 auf inzwischen über acht Millionen gewachsen ist, zeigt sich, dass man sich Integration sehr wohl auch leisten kann.

Wir werden sehen, ob sich die ÖVP zu einem „kurzen Entschluss“ durchringt. Wie sich dieser „Kurz-Schluss“ dann in der Realität auswirken würde, ist wieder eine andere Frage. Aber wir wissen zumindest, dass das Jahr 2017 naht . . .

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR


Dr. Bernhard Löhri,
(* 1953) absolvierte die Wirtschaftsuniversität Wien. Die beruflichen Stationen konfrontierten ihn mit Fragen der Managementaus- und -weiterbildung sowie der Organisationsentwicklung in Management und Politik – national und international. So war er von 1992 bis 1996 Direktor der Politischen Akademie, der Denkfabrik der ÖVP. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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