Mit den Armen zu teilen macht uns nicht ärmer

Die katholische Soziallehre, der Kapitalismus und die Frauenbewegung.

Eigentlich ist es müßig, auf eine Polemik zu antworten, weil sie nicht Argument und Gegenargument sucht, sondern eben bloß polemisch sein möchte. Wie anders soll man das „Déjà-vu“ von Hans Winkler zur „Ökonomie des Papstes und ihre(r) Anhänger“ („Presse“ vom 2.5.) verstehen?

Da schwirrt es nur so von Begriffen und Begriffskreationen, die mit spitzbübischer Freude bis Häme in einen Topf geworfen werden: „Marxismus“, „neukatholische Wirtschaftsideologie“, „altsozialistisches Denken“ – wer polemisch sein möchte, hat es nicht nötig zu erklären, was denn jeweils damit gemeint ist, es geht um Suggestion, um Stimmungsmache.

Papst, Caritas und Katholische Frauenbewegung werden gleichermaßen ins Visier genommen. Und das nicht zufällig. Denn Papst wie Caritas und Katholische Frauenbewegung (und Katholische Arbeitnehmerinnenbewegung und zahllose weitere einschlägig engagierte Einrichtungen und Menschen innerhalb wie außerhalb der Kirche) eint in ihrem Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft ein Fundament, das der Sozialethiker Markus Schlagnitweit – vormals Leiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs – einmal das „bestgehütete Geheimnis der katholischen Kirche“ genannt hat: die katholische Soziallehre.

Option für die Armen

Mittlerweile ist auch ein neuer Papst tatkräftig daran, die Schleier über dem Geheimnis zu heben, und Winkler wäre gut beraten, seinen Blick dorthin zu richten, so es ihm als Christ und Journalist mit kirchlichem Naheverhältnis die vergangenen Jahrzehnte über nicht möglich gewesen sein sollte.

Die katholische Soziallehre stellt sich nicht gegen „den Markt“ an sich, sie setzt „dem Kapitalismus“ aber Grenzen, und zwar mittels einer Sozialethik, die sich den Prinzipien der Personalität, des Gemeinwohls, der Solidarität und Subsidiarität verpflichtet weiß. Sie hat unter Papst Johannes Paul II. eine Weiterentwicklung erfahren, durch den Begriff von der „Option für die Armen“. Sie ist von höchster Aktualität in einer Welt massiver, das Leben beeinträchtigender bis zerstörender Ungleichverteilung – ein Missstand, dem die Katholische Frauenbewegung Österreichs nicht im Zuge einer „Mode“, sondern seit 60 Jahren mit der Aktion Familienfasttag entgegentritt, mit der konkreten Unterstützung von Frauen im Süden.

Ungerechte Verteilung

Und ja, es braucht Geld – zur Sicherung der Existenz von Menschen, zur Gewährleistung eines guten Lebens für alle, nicht etwa für das Spiel an Börsen mit dem Ergebnis der Entkoppelung dieses Geldes von realen Werten; die katholische Soziallehre ist von allerhöchster Aktualität in einer Welt, in der spätestens mit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 die Relevanz des Themas Ungleichverteilung auch innerhalb Europas, auch in Österreich sichtbar und spürbar geworden ist.

In einer Gesellschaft, in der zehn Prozent der Bevölkerung über zwei Drittel des Haushaltsvermögens verfügen, die in Sachen Vermögensteuern zu den Schlusslichtern im europäischen Vergleich gehört, geraten immer mehr Menschen – auch und gerade Frauen – unter Druck. Unnötigerweise.

Steuern auf Konzerngewinne, extrem hohe Vermögen oder Erbschaften – keine neu erfundenen, vielmehr altbewährte – sind nur ein Instrument zur Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, die – welch abstruse Anmutung – nicht die Verarmung aller bedeutet.

Teilen macht nicht arm, teilen spendet Zukunft: Das war immer schon tiefste Überzeugung, mithin Programm der Katholischen Frauenbewegung. Unwissen, Herr Winkler, wäre beschämend, Ignoranz erschreckend.

Veronika Pernsteiner ist Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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