Warum weiß wählen am Sonntag keine Option ist

Eine einzige Stimme kann die Gewichtung in einem Wahllokal verändern.

Die bevorstehende Stichwahl zum Bundespräsidenten spaltet die bürgerliche Mitte wie kaum eine andere Wahl in der Zweiten Republik. Heftige Diskussionen unter Freunden und Verwandten stehen derzeit auf der Tagesordnung. Während sich die einen darüber streiten, warum sie Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer ihre Stimme geben werden, gibt es eine große Gruppe von Menschen, die sich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen wollen.

„Sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden, das geht nicht“, meinen viele aus der bürgerlichen Mitte. Daher wollen viele dieser Wähler weiß wählen. Sie begründen ihr Vorhaben damit, dass sie durch die Abgabe eines unausgefüllten (weißen) Stimmzettels ein Zeichen setzen und ihre eigentliche Präferenz zum Ausdruck bringen wollen. Nämlich, dass weder Van der Bellen noch Hofer ihre politischen Werte der bürgerlichen Mitte repräsentiert. Sie meinen auch, ihre Unzufriedenheit auf diese Weise besser artikulieren zu können, als wenn sie nicht zur Wahl gehen.

Tatsache ist, dass ein unausgefüllter Stimmzettel eine ungültige Stimme darstellt. Tatsache ist auch, dass man mit einer ungültigen Stimme das Wahlergebnis nicht mitbeeinflussen kann. Ungültig zu wählen wirkt sich lediglich auf die Wahlbeteiligung aus, nicht aber auf das Ergebnis.

Freie Wahlen – ein hohes Gut

Bei der Verkündigung des offiziellen Wahlergebnisses durch das Innenministerium wird zwar auch die Anzahl der ungültigen Stimmen verlautbart, man kann sich jedoch nicht erhoffen, dass sich dadurch politisch etwas bewegt oder verändert. Sollte man sich also die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung wirklich entgehen lassen? Vor allem bei einer Wahl, die so richtungsentscheidend ist?

Die Antwort darauf ist eindeutig nein. Demokratie und freie Wahlen sind ein hohes Gut, das sich Österreich hart erarbeitet hat. In anderen Ländern werden Menschen verfolgt, die sich für faire und freie Wahlen einsetzen.

Zünglein an der Waage

Seit 2007 ist die Wahlbeobachtung durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Österreich rechtlich vorgesehen. Durch diese internationale Wahlbeobachtung können sich Bürger und Bürgerinnen noch stärker auf die Demokratie und den Wahlprozess verlassen. Denn die OSZE-Wahlbeobachter haben den Präsidentschaftswahlen 2010 sowie den Nationalratswahlen 2013 ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt.

Als OSZE-Wahlbeobachter hat man uneingeschränkt Zugang zu allen Wahllokalen am Wahltag sowie zu den Sitzungen der Wahlbehörden. Man darf zwar nicht aktiv in das Wahlgeschehen eingreifen, aber man erlebt Demokratie live mit. Der Moment, in dem eine Wahlurne ausgeleert wird und die einzelnen Stimmzettel ausgezählt und stapelweise aufgelegt werden, ist erhebend. Denn es stimmt: Jede Stimme zählt. Es kommt vor, dass eine einzige Stimme in einem Wahllokal die Gewichtung verändert.

Derzeit sieht es ganz danach aus, dass die bevorstehende Stichwahl knapp wird und weiße Stimmen das Zünglein an der Waage sein könnten. Daher sollte man umso mehr von seinem Wahlrecht Gebrauch machen, sich für das aus der eigenen Sicht geringere Übel entscheiden und einen gültigen Stimmzettel abgeben. Auch wenn der Wunschkandidat oder die Wunschkandidatin nicht mehr im Rennen mit dabei sind. Nur so kann man einen Wahlkater verhindern und die Zukunft Österreichs mitbestimmen.

Stephanie Liechtenstein war von 2003 bis 2008 in unterschiedlichen Positionen bei der OSZE tätig. Unter anderem hat sie bei den den Wahlbeobachtungsmissionen der OSZE in Österreich mitgearbeitet.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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