Jetzt beginnt der Kampf um die Hegemonie

Gesellschaftlicher Diskurs. Christian Kern möchte die Deutungshoheit für die SPÖ wiedergewinnen. Der Hauptrivale ist dabei zunächst die FPÖ.

Christian Kern hat in seiner ersten Woche im Amt zwei „Gruppeninterviews“ gegeben. Eines für die Bundesländerzeitungen, die dieses Format erfunden haben. Dazu gehören „Vorarlberger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“, „Salzburger Nachrichten“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Kleine Zeitung“ und „Die Presse“. Letztere deshalb, weil sie zur Styria Mediengruppe gehört, in der auch die „Kleine Zeitung“ erscheint, die als bei Weitem größte Bundesländerzeitung die informelle Führung der Gruppe innehat.

Das zweite Interview gab der Bundeskanzler einer „Gruppe“, die sich erst zu diesem Anlass zusammengefunden hatte: „Standard“, „Wiener Zeitung“ und die beiden Gratisblätter „Österreich“ und „Heute“. Letzteres Blatt gehört zum Haus „Kronen Zeitung“. Kern dürfte das einfach aus Gründen der Zeitökonomie so gemacht haben. Es fällt aber trotzdem auf, dass bei der zweiten Gruppe jene Zeitungen waren, die eine mehr oder minder deutliche Präferenz für die Sozialdemokraten haben.

Der „Standard“ hat bemerkenswerterweise aus dem Interview den Satz als Titel prominent herausgehoben, von dem man annehmen darf, dass er von den Lesern verstanden wird: „Der Kampf um die Hegemonie im Land hat mit dieser Bundespräsidentenwahl erst richtig begonnen.“ Der Begriff Hegemonie im innenpolitischen Zusammenhang stammt vom italienischen marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (1891 bis 1937). Es wird kaum ein Zufall sein, dass Kern ihn verwendet hat.

Für Gramsci wird Herrschaft in der kapitalistischen Welt nicht allein durch Zwang ausgeübt, sondern dadurch, dass die Menschen davon überzeugt werden, in der „besten aller Welten zu leben“. Herrschaft werde durch Konsens und eben „Hegemonie“ in der Zivilgesellschaft erreicht und stabilisiert. Die Agenturen dieser Hegemonie sind Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, natürlich die Massenmedien, auch die Wohlfahrtsverbände, sogar die Kirchen.

Mit anderen Worten: Auf diese Agenturen Einfluss zu gewinnen ist ein Instrument des Machterhalts. Man kann es mit Kern auch so sagen: „Wir müssen den Führungsanspruch mit sozialdemokratischen Ideen im modernen Gewand stellen.“

Der Kampf um die Hegemonie wird zunächst mit der FPÖ ausgefochten, mit der die SPÖ im Ringen um ihr angestammtes Publikum steht. Die Frage, ob die FPÖ ein Partner sein kann, lässt Kern offen – was zugleich heißt, sie mit Ja zu beantworten. Die Bundespräsidentenwahl hat ihn allerdings unter Druck der Linken in seiner Partei gebracht: Ausgerechnet im Burgenland mit seiner rot-blauen Koalition haben die Freiheitlichen am stärksten abgeschnitten. Andererseits hat Alexander van der Bellen sogar in Wiener Flächenbezirken, die zuletzt von der FPÖ dominiert waren, gewonnen (ausgenommen Simmering). Beides wird von der Linken als Bestätigung dafür genommen, dass eine strikte Abgrenzungspolitik zur FPÖ das Beste für die SPÖ sei.

FPÖ als dritte Volkspartei

Im ideologischen „realignment“ hat sich die FPÖ bleibend als dritte Volkspartei etabliert. Wenn der künftige Bundespräsident aber glaubt, die Freiheitlichen dauerhaft als Koalitionspartner ausschließen zu können, was er auch nach der Wahl noch einmal bekräftigt hat, wird er persönlich scheitern und in eine Krise des Amts hineinstolpern, gegen die Thomas Klestils Erfahrungen geradezu harmlos waren. Van der Bellen wird so aber vor allem dazu beitragen, dass sich die FPÖ eher radikalisiert als mäßigt. Jeder Koalitionspartner (die SPÖ kommt dafür eher infrage als die ÖVP) würde sie in seinem Sinn domestizieren.

Wo ist für die ÖVP ein Platz zwischen zwei anderen Volksparteien? Reinhold Mitterlehner, der sichtlich erleichtert ist, Werner Faymann los zu sein, sollte nicht glauben, dass es für ihn und seine Partei nun leichter geworden ist. Die Schalmeientöne von allen Seiten, nun dürfe man „nicht mehr streiten“, sind zu verführerisch, um auf den richtigen Weg zu leiten.

Jetzt erst recht müsste Mitterlehner klarmachen können, wofür die ÖVP eigentlich steht. „Wer weiß“, formuliert es der Wiener Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, „warum sollte nicht auch die ÖVP, wenn sie sich auf ihre konservativen Wurzeln besinnt, der FPÖ wieder Anteile streitig machen?“

Mut zur bürgerlichen Wende?

Die Frage an die ÖVP lautet: Traut sie sich, für eine bürgerliche Wende einzutreten, und kann sie eine solche in ihrer alltäglichen Politik an der Seite der SPÖ verwirklichen? Hat sie eine Alternative zum allgütigen, bevormundenden Wohlfahrts- und Verteilungsstaat anzubieten, der seine Anhänger ja auch bis weit in ihre eigenen Reihen hinein hat? Wagt sie es, sich zur Stimme der ausgebeuteten Mitte zu machen?

Genieren müsste sich die ÖVP für dieses Publikum wahrlich nicht. Es sind die Leute, die Verantwortung für sich und andere übernehmen und sie nicht dem Staat übertragen wollen. Es sind Leute, denen eigene Bildung und die ihrer Kinder etwas bedeuten. Als bürgerlich darf man durchaus auch einen Arbeiter, Handwerker und überhaupt alle Leute bezeichnen, die lieber von ihrer eigenen Arbeit leben als sich vom Staat erhalten zu lassen.

Wohlfeil ist die Empfehlung einer „liberalen Öffnung“, die der ÖVP aus allen „befreundeten“ Medien entgegenschlägt. Damit ist vor allem eine Übernahme der gängigen, von einflussreichen Lobbys geförderten Positionen bei Ehe, Familie, „Inklusion“ und „Gleichstellung“ gemeint. Liberal als wirtschaftspolitische Auffassung und Praxis kommt dabei bezeichnenderweise nicht vor.

Es gibt drei klassische Anwendungsfelder für bürgerliche Politik, auf denen sich die ÖVP markant von allen anderen Parteien unterscheiden müsste: Wirtschaft, Familie und Bildung. Unverzichtbar ist die ÖVP als Anwalt der sozialen Marktwirtschaft. Dabei müsste die „emeritierte Wirtschaftspartei“ ÖVP (Christian Ortner) wieder verstehen lernen, dass das Hauptwort die Marktwirtschaft und sozial das Eigenschaftswort ist.

Die beste Schule für jeden

In der Familienpolitik ist die entscheidende Frage, ob man zusätzliche Mittel für Familien (im „klassischen Sinn“, wie man heute dazu sagen muss) nur noch in Form von Sachleistungen gibt. Wer Sachleistungen offeriert, möchte den Empfänger herabsetzen und deklassieren; direkte finanzielle Leistungen dagegen gewähren die Freiheit eigener Entscheidung.

Schließlich die Bildung: Hier steht die ÖVP gegen die SPÖ ohnehin, aber auch gegen die geballte öffentliche Meinung. Sie hat aber nie eine ernsthafte Anstrengung unternommen, für eine Schulpolitik zu werben, die sich nicht als Verlängerung von Sozialpolitik missversteht. Es geht nicht nur, aber natürlich auch um die Frage Gesamtschule versus Gymnasium. Nicht dieselbe Schule für alle, sondern die beste für jeden, müsste das Prinzip lauten.

Letztendlich aber hat die ÖVP eine Staatsgesinnung einzubringen, die so nur bei ihr zu finden ist. Nicht umsonst hat sie in ihren Reihen so viele „Staatsdiener“ – ein Wort, das ganz zuunrecht in Verruf geraten ist.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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