FPÖ und die neue nationale Welle in Europa

In den Visegrád-Staaten ist die „nationale Wende“ teilweise schon vollzogen, auch in Ländern Westeuropas werden die Weichen in diese Richtung gestellt. Es droht ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten.

Vor 30 Jahren stand die FPÖ unter ihrem damaligen Vorsitzenden, Norbert Steger, mit dem Rücken zur Wand. Mit Umfragewerten von unter drei Prozent drohten bei den nächsten anstehenden Nationalratswahlen der Verlust aller Parlamentssitze und der Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit.

Wer damals prophezeit hätte, dass ein Freiheitlicher als Bundespräsident in die Hochburg einziehen könnte, hätte hämisches Gelächter geerntet. Nun kratzte der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit 49,7 Prozent der Stimmen nur haarscharf an der Präsidentschaft vorbei. Auch eine Bundesregierung unter FPÖ-Führung ist längst nicht mehr unmöglich.

Vor nicht allzu langer Zeit hielten viele Freiheitliche Österreich noch für eine „ideologische Missgeburt“. Für sie war Deutschland ihr unumstrittenes Vaterland. Obwohl große Teile der gegenwärtigen freiheitlichen Führungsriege einem deutschnationalen Milieu entstammen, verpassten sie ihrer Partei in den letzten Jahren eine neue Identität.

Austronationale Volkspartei

War in den 1950er- und 1960er-Jahren noch jeglicher Österreich-Bezug im Auftritt der FPÖ innerparteilich zutiefst verpönt, so kann man sich heute bei Parteiveranstaltungen vor rot-weiß-roten Fahnen nicht mehr retten. Die FPÖ mutierte von einer deutschnationalen Randpartei zu einer austronationalen Volkspartei.

Der historische Antisemitismus und Antislawismus des Dritten Lagers verwandelt sich zunehmend in einen dem Zeitgeist angepassten Antiislamismus und Antieuropäismus. Das zeigt sich nicht nur in der politischen Strategie im Inland, sondern vor allem auch im Auftritt und in den Beziehungen der FPÖ zum Ausland.

Wäre noch vor einigen Jahren kaum ein Freiheitlicher freiwillig nach Israel gereist, gehört es heute zum guten Ton, das Holocaust-Zentrum Yad Vashem zu besuchen und die Unterstützung für den Staat Israel zu bekunden. Die früher stramm propalästinensische und antizionistische Ausrichtung der FPÖ hat sich in das komplette Gegenteil verwandelt.

Im Widerspruch zu ihrer föderalistischen und antizentralistischen Rhetorik im Inland verbündet sich die FPÖ verstärkt mit nationalistischen Parteien in Europa, die nicht nur antieuropäisch auftreten, sondern auch die Kompetenzen ihrer Regionen und die Rechte ihrer Minderheiten beschneiden wollen.

Viele dieser Bewegungen, wie etwa die britische Independence Party, der französische Front National, die niederländische Freiheitspartei oder die polnische Recht und Gerechtigkeit sind zudem antideutsch orientiert und wären noch bis vor wenigen Jahrzehnten die schärfsten Kontrahenten des Dritten Lagers Österreichs gewesen.

Stargast Václav Klaus

Natürlich findet auch ein reger Austausch mit der aufstrebenden Alternative für Deutschland (AfD) statt. Diese verfolgt ein ähnliches Ziel wie die FPÖ. Sie möchte den traditionellen völkischen und antisemitischen Nationalismus in Deutschland, der heute nur noch Randgruppen anspricht, in einen international salonfähigen antiislamischen und EU-kritischen Nationalismus transformieren. Daher verwundert es nicht, dass die AfD bei ihrem jüngsten Parteitag neben FPÖ-Granden auch den tschechischen Nationalisten und radikalen EU-Kritiker Václav Klaus als Stargast einlud.

Klaus kämpfte als tschechischer Staatspräsident während der EU-Beitrittsverhandlungen seines Landes wie kein Zweiter für die Beibehaltung der Beneš-Dekrete, auf deren Basis über drei Millionen deutsch- und ungarischsprachige Bürger enteignet sowie aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Darunter auch die Großeltern von Heinz-Christian Strache.

Während der Beistrittsverhandlungen Tschechiens protestierte die FPÖ noch vehement gegen Klaus und die Dekrete. Sie spielten in der freiheitlichen Wahlkampfstrategie zu jener Zeit eine bedeutende Rolle. Heute wird dieses Thema von der FPÖ bewusst in den Hintergrund verbannt.

Waffenstillstand auf Zeit

Der Kampf gegen ein politisch vereintes Europa bringt frühere Feinde zusammen, auch wenn es sich vermutlich nur um einen Waffenstillstand auf Zeit handelt. Sie kämpfen gemeinsam für das ihnen so heilige „Europa der Nationalstaaten“, das sie oft auch liebevoll „Europa der Vaterländer“ nennen.

Welche Gefahren ein wieder verstärkt ethnisch-national geteiltes Europa birgt, was für Kriege und Konflikte es schüren könnte und welche Konsequenzen es für unsere wirtschaftliche Entwicklung sowie die Rolle Europas in der Welt haben würde – all das wird von der FPÖ und ihren neuen Schwesterparteien bewusst verschwiegen.

Viele der heutigen Probleme werden stattdessen gekonnt der EU als Institution in die Schuhe geschoben. Die Union wird als übermächtiger und undemokratischer Zentralstaat dargestellt, obwohl sie in ihrer heutigen Form fraglos der loseste nur denkbare Staatenbund ist und zudem faktisch nur über wirtschaftliche und regulatorische Kompetenzen verfügt.

Das politische Konzept der Neuen Rechten scheint aufzugehen. Die aktuelle Flüchtlings- und Finanzkrise, kombiniert mit immer noch stark verwurzelten nationalen und konfessionellen Vorurteilen in Teilen der Gesellschaft, spielen ihnen in die Karten. Sie eilen damit von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.

Weichenstellung für Europa

Träumte Strache einst nur vom Wiener Bürgermeisteramt, so will er jetzt Bundeskanzler werden. Und die Zahl jener in SPÖ und ÖVP, die bereit wären, mit der FPÖ auf Bundesebene zu koalieren, nimmt stetig zu; auf lokaler und regionaler Ebene ist die Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen ja schon längst kein Tabu mehr.

In den nächsten Jahren werden die Weichen für Europas langfristige Entwicklung gestellt. Neben dem britischen EU-Entscheid finden in Deutschland und anderen EU-Staaten richtungsweisende Wahlen statt. Bewegen wir uns wieder in Richtung eines geteilten Europas starker Nationalstaaten? Sitzen Strache, Farage, Le Pen, Petry und Wilders bald auch politisch mit am Ruder? In den Visegrád-Staaten ist die „nationale Wende“ teilweise ja schon vollzogen. Geht es nun in Westeuropa so weiter?

Wenn ja, dann besteht die Gefahr, dass wir in den nationalen Strudel der Zwischenkriegszeit zurückfallen. Die Folgen wären fatal. Aber so weiterzuwursteln wie bisher geht auch nicht. Die EU muss komplett reformiert und entrümpelt, in einigen Bereichen aber auch substanziell gestärkt werden, um sie effizienter und bei den Bürgern wieder populär zu machen.

Der Weg zu einem basisdemokratischen und daher länderübergreifend dezentralisierten Europa der Regionen ist steinig und erfordert in einer Zeit der Europa-Skepsis viel Mut. Es gibt aber keine Alternative. Sonst droht uns der Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Peter Jósika
(geboren 1971 in Wien) ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Historiker, Politikwissenschaftler und Befürworter eines dezentralisierten Europas der Regionen nach Schweizer Vorbild. Er ist Autor des Buches „Ein Europa der Regionen. Was die Schweiz kann, kann auch Europa“ (IL-Verlag). Er kann über die Website europaderregionen.com kontaktiert werden. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2016)

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