Zu kurz gedacht: Wie der Außenminister den Brexit erklärt

Sebastian Kurz führt gerade vor, wie man politisches Kleingeld macht.

Der österreichische Außenminister, Sebastian Kurz, hat seit geraumer Zeit den Populismus für sich entdeckt. So schlug er erst neulich vor, dass das nicht unumstrittene australische Modell in Bezug auf Flüchtlinge auch für die EU zur Anwendung kommen sollte. Flüchtlinge sollen demnach auf abgelegenen Inseln festgehalten werden, während man ihre Asylanträge prüft.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass für seine Erklärung des Brexit wieder einmal die Flüchtlingsströme herhalten müssen. Das Thema, so Kurz, habe „die Menschen emotionalisiert“, und genau deshalb hätten viele für den Brexit gestimmt.

Herr Kurz hat schon recht. Es sind jedoch in der Regel Politiker wie Kurz selbst, und noch mehr wie Nigel Farage von der UK Independence Party oder Boris Johnson von den Tories, die Emotionen schüren und an einer versachlichten Debatte wenig Interesse zeigen.

Ein Blick auf die Homepage des Britischen Roten Kreuzes zeigt, dass in Großbritannien im Jahr 2015 weniger als 40.000 Asylanträge gestellt wurden. Und weniger als die Hälfte dieser Flüchtlinge haben auch wirklich Asyl bekommen. Erklärungsversuche müssen daher wesentlich tiefer gehen.

Die EU als Sündenbock

Ohne, dass dies in der Brexit-Kampagne angesprochen wurde, spielte wohl der Zentralismus in England eine gewichtige Rolle. Durch diesen wurden etwa die Bedürfnisse des Nordens von England außer Acht gelassen. Aber auch die rigorosen Sparmaßnahmen der Konservativen der vergangenen Jahre, bei denen es zu tiefen Einschnitten im Sozialsystem gekommen ist, haben zur allgemeinen Unzufriedenheit beigetragen.

Die Menschen haben jedoch von den Politikern gelernt, dass die EU als Sündenbock für beinahe alles herhalten kann. Der Ausgang des Referendums scheint daher zu einem großen Teil hausgemacht. All das weiß Außenminister Kurz mit Sicherheit, und dennoch will er die Gunst der Stunde nützen, um seiner Flüchtlingspolitik Vorschub zu leisten. Dabei sollte er, der ja auch gern als Verfechter der direkten Demokratie auftritt, Folgendes bedenken:

Eine Post-Fakten-Demokratie

Das Referendum im Vereinigten Königreich hat auf erschreckende Weise gezeigt, dass ein sachlicher Austausch von Argumenten nicht möglich war, weil die beiden Lager bereits eine völlig unterschiedliche Sprache sprechen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sich Großbritannien bereits in einer Art Post-Fakten-Demokratie befindet, in der nur noch das Bauchgefühl entscheidet, Fremdenfeindlichkeit inklusive.

Wiederum zeigte sich das bekannte Muster, dass es dort, wo Fremde in großer Zahl leben, deutlich mehr EU-Befürworter gab. Man kennt derartige Paradoxa auch aus Österreich, wo die fremdenfeindlichsten Gemeinden jene sind, in denen keine Flüchtlinge oder Ausländer leben.

Herr Kurz sollte sich aber bewusst sein, dass er möglicherweise den Geist des Populismus, den er so gern anruft, nicht mehr loswird. Die Gefahr dabei ist, dass Gesellschaften und Familien (Alt gegen Jung) tief gespalten werden, wie man derzeit ebenfalls in Großbritannien beobachten kann.

Und noch etwas führte das britische Referendum wieder einmal klar vor Augen: Direkte Demokratie ermöglicht zwar Ja/Nein-Entscheidungen, sie hat aber sonst wenig Problemlösungskapazität. Es ist daher nicht überraschend, dass es zu den bevorzugten politischen Instrumenten der Populisten gehört, deren Ziel es ja ist, die Gesellschaften zu destabilisieren.

Clemens M. Rieder studierte Politik- und Rechtswissenschaften in Innsbruck, Großbritannien und den USA. Er arbeitet derzeit als Academic Fellow im Department of Law in Lancaster, England.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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