Gedenken zwischen Opferverbänden und Ministerialbürokratie

Ein paar Einwürfe zum Disput über die KZ-Gedenkstätte Mauthausen-Gusen.

Den Disput zwischen Kurt Scholz („Quergeschrieben“ vom 28. 6.) und Boguslaw Dybas (5. 7.) zur Benennung der Gedenkstätte Mauthausen hat Hannes Eichsteininger am 9. Juli in eine neue Richtung geleitet. Dabei hat der Historiker Ideologie und historischen „Sachverhalt“ gegeneinander in Stellung gebracht. Im Fall der Gedenkstätte Mauthausen sind das aber keine Gegensätze, denn die unerquicklichen Kurzschlüsse zwischen diesen beiden Polen reichen lange zurück.

Schon die heutige Topografie des Ortes ist das Ergebnis einer ideologischen Bewertung von historischem Sachverhalt. Standen 1947, bei der Übergabe des Geländes an die Republik, noch an die 50 Gebäude, so fielen in den Folgejahren die meisten in sich zusammen, wurden geplündert, demontiert und verkauft. Nicht nur die Kosten, auch das Denkmal und seine Bedeutung sollten so klein wie möglich gehalten werden.

Zunächst „verschwand“ der ehemalige SS-Bereich und damit auch die bauliche Manifestation der Täterschaft. Im Innenbereich des Lagers kam es ebenfalls zu einer massiven Reduktion der Überreste. Daran hatten die Opferverbände ihren Anteil, als sie etwa dem Abriss der Baracke 5 („Judenblock“) und des Block 20 (signifikant für die bei der „Hasenjagd“ ermordeten Sowjets) zustimmten – im Tausch gegen ein erstes Museum, das 1970 eröffnet wurde.

Innerösterreichische Schleife

Dem Staat war die Anerkennung der Täterschaft nicht wichtig, den politischen Überlebenden ging es um die Anerkennung „ihrer“ Opfer. Ersteres blockierte Zweiteres über Jahrzehnte; die Gedenkstätte war in einer innerösterreichischen Schleife gefangen. Da verwundert es kaum, dass das Bewusstsein dafür, wie Mauthausen außerhalb des Landes verstanden wird, bis heute wenig ausgeprägt ist. Kurt Scholz wüsste aber nur zu gut, wie wichtig die Chiffre „Gusen“ für die polnische Erinnerung ist und dass die Polen die größte nationale Opfergruppe sind.

Was allerdings weitaus wichtiger wäre, als über das Türschild der Gedenkstätte zu reden, wäre die anhaltende Grundzufriedenheit von Ministerium und Opferverbänden infrage zu stellen, auf die Scholz larmoyant verweist.

Lächerlich kleine Budgets

Diskussionswürdig wäre so einiges: Die Gedenkstätte hat im Verhältnis zu ihrer historischen Bedeutung nach wie vor lächerlich kleine Budgets, die Neugestaltung ist nur in Teilen auf den Weg gebracht.

Zu allem Überfluss wird Mauthausen gerade einvernehmlich in eine Konstruktion „ausgelagert“, in der die ministerielle Bürokratie weiterhin das Sagen hat. Die beratenden Gremien behalten hingegen ihren Feigenblattstatus. Ihre Rolle ist offenbar nach wie vor, davon beeindruckt zu sein, dass aus gar keiner Erinnerung(skultur) in den letzten beiden Dekaden ein bisschen eine wurde.

Angesichts dieser allzu schwachen Bipolarität zwischen Opferverbänden und Ministerialbürokratie wäre eine Öffnung in Richtung einer kritischen Zivilgesellschaft dringend angezeigt. Wie das geht, hat die Pädagogik ein Stück weit mit dem Aufbau eines Vermittlungspools vorgeführt, aus dem in den vergangenen Jahren eine selbstständige Initiative erwuchs.

Wenn Hannes Eichsteininger „mehr Sachverhalt“ einmahnt und dabei die Pädagogik anspricht, irrt er sich im Adressaten. Dass dort seit Jahren jenseits von Vermeidungs- und Vereinnahmungsstrategien operiert wird, kann man nicht zuletzt an Konzept und Praxis der interaktiven Rundgänge ablesen, in denen die Bedeutung der Ereignisse zuvorderst auf einer ethischen Ebene verhandelt wird.

Wolfgang Schmutz war von 2011 bis 2014 Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und davor ein Jahr lang provisorischer Ko-Leiter der dortigen Pädagogik.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)

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