Die Überlegenheit guter Blätter über Massenware

Wer Wissen verbreitet, hat Verantwortung. Zuletzt zeigte sich in München, dass Qualität mehr wiegt als billiger Info-Ramsch.

Vorige Woche war es wieder so weit – tödliche Schießerei im Olympia-Einkaufszentrum in München. Das sind Stunden der Panik. Hunderte von Einsatzkräften vermögen Abläufe sogar in ihrem nächsten Umkreis kaum zu überblicken. Gleichzeitig türmt sich im digitalen Raum die giftige Mischung aus Fakten, Fantasien und Fälschungen in geschriebener, bildlicher und bildbewegter Form. Jeder, der sich auf eine Plattform der sozialen Medien begibt, weiß, wovon die Rede ist.

Auch die für die Sicherheit Verantwortlichen kennen das und reagieren mit dem fast händeringenden Ersuchen: Das geschätzte Publikum möge doch darauf verzichten, unüberprüfte oder gar erfundene Einzelheiten der Abläufe ins Internet zu schicken, denn nur die noch nicht gefassten Täter hätten Vorteile davon.

„Die Presse“ in Wien, die an dem Abend die emotionelle Fernwirkung des Münchner Gewaltaktes mit neun Todesopfern richtig einschätzte, baute den redaktionellen Teil der Zeitung während des Drucks seitenweise um, um den neuesten Stand einzufangen, der freilich noch immer nicht der letzte Stand sein konnte.

Was bietet eine anspruchsvolle Zeitung ihren Lesern, wenn sie schon gedruckt und ausgeliefert ist, während das Großereignis noch immer kein Ende nimmt? „Die Presse“ blieb in der Münchner Gewaltnacht digital zur Verfügung. Alle, die ihre Mobilgeräte bereits vorsorglich und kostenfrei aufgerüstet haben, können sich nachts in die laufende Berichterstattung einklinken und das Neueste erfahren. Viele haben sogenannte Push-Nachrichten abonniert, also „Presse“-Informationen über besonders wichtige Ereignisse, die automatisch auf dem Handy ankommen.

Was dabei den Unterschied zu den unaufgeräumten Info-Steinbrüchen der sozialen Medien ausmacht? „Die Presse“ wählt Nachrichten professionell aus, informiert mit Angabe von Quellen und oft unter Nennung des Autors, sie hat im Gegensatz zu Absendern von anonymen Botschaften einen Firmensitz mit Adresse und Telefonnummer sowie Menschen aus Fleisch und Blut, die zu dem stehen, was sie in Umlauf setzen. Und in der Münchner Amoknacht geschah das bis lang über Mitternacht hinaus.

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Zwischen alle Aufregungen schleichen sich dennoch ab und zu merkwürdige Formulierungen oder manche Fehler ein. Auch Brexit sowie die EU-Wirtschaft sind Aufreger. Die Meeresanrainer Dänemark, Estland und Irland müssen Fische nicht importieren, behauptet die Zeitung, denn sie „produzieren sogar mehr, als produziert wird“, wie immer man sich das vorstellen soll (13. 7.).

Der „Economist“ erläutert Bilanzfragen mitunter in populär-ökonomischer Sprache: „Nicht nur in Europa, auch in Asien verdienen AKW ihre Kosten oft nicht mehr zurück“ (14. 7.).

Jeden Sommer Hochwasser, und schon lassen Zeitungen den Pegel steigen und sinken (16. 7.). Das kann ein Pegel aber gar nicht, denn er ist im einfachsten Fall eine fix montierte Messlatte, ein Pfosten oder eine Gebäudewand mit Markierungen, auf dem der jeweilige Wasserstand abzulesen ist.

Im Immobilienteil schleppt 1956 ein Großvater einen „großen Rucksack inflationär entwerteten Geldes“, um für den Mödlinger Othmarhof eine Orgel zu kaufen (23. 7.). Ein Leser forscht nach und berichtet, dass die Inflationsrate laut WKO 1955 nur 2,5% und 1956 2,8% ausgemacht habe. Auch hätte man Geld schon damals überweisen können – „war Schwarzgeld im Rucksack?“, fragt er.

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In Griechenland nehmen die Krisen kein Ende. Aber dass dort Schulden gemacht werden, die am Ende „der griechische Steuerberater bezahlen muss“, wäre selbst unter Griechen ein überraschendes Modell der Schuldentilgung (10.6.).

Nach dem Überfall auf einen Wiener Billa-Supermarkt geraten die Guten und Bösen durcheinander. Ein angeschossener Polizist starb, „sein Komplize soll bewaffnet gewesen sein“ (6. 7.). Am nächsten Tag meldet die Zeitung „Raubkomplize in Haft“ – hoffentlich war er doch nicht von der Polizei.

Da hat aber „Die Presse“ schon ein anderes Problem. Wie dekliniert man Beamte? Im Raubkomplizenartikel kommt „ein 23-jähriger Beamte aus Kärnten“ vor. Mit dem stimmt grammatikalisch etwas nicht, ebenso mit jenen: „Fünf Beamten fuhren zum Tatort.“ Der Duden kennt nur „Beamte, der“ und vertraut offenbar darauf, dass sich ähnlich wie bei „der Angestellte, ein Angestellter“ alles Weitere erschließt. Es gibt aber das „Österreichische Wörterbuch“, das sich viel ausführlicher mit dem Berufsstand befasst, der in diesem Land für den wichtigsten gehalten wird: der Beamte, ein Beamter, die Beamten und in weiblicher Form wahlweise die Beamte oder die Beamtin.

Ein ähnliches Problem haben die Sportler beim Betreten des Allianz-Stadions: „An St. Hanappi erinnert nur noch ein Lichtmasten des alten Stadions“ (16. 7.) Ein Mast ist im ersten Fall Einzahl ein Mast und kein Masten.
Eine Frage der Zeit: Sind wir nicht genügend wir selbst? In der journalistischen Sprache wimmelt es von entbehrlichen „Selbst“-Konstruktionen: „Schrems selbst kann dem neuen Abkommen wenig abgewinnen.“ „Die Bankenabgabe selbst wird von 640 Millionen Euro auf rund 100 Millionen Euro pro Jahr reduziert.“ „Ulisoy selbst stellte der Türkei ein negatives Zeugnis aus.“ „Gülen selbst wies alle Vorwürfe zurück.“ „Sie selbst waren kaum in solchen Filmen zu sehen.“ Der Gebrauch von „selbst“ ist inflationär und nur sinnvoll, wenn er Zusammenhänge verdeutlicht. Zum Beispiel hier: Grasser sollte laut dem in der Anklageschrift zitierten Tatplan „Geld von Bietern und anderen Interessenten fordern, sich versprechen lassen und annehmen, selbst jedoch diesen gegenüber nicht auftreten“ (24. 7.).

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Sprachstil erfordert Treffsicherheit im Ausdruck, nicht immer gelingt sie angesichts der Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten. „Aber gegen die ideologischen Kämpfe und auch gegen die aufkeimende kurdische Freiheitsbewegung konnte dieser Putsch kaum etwas anhaben“ (16. 7.).

„Große Skepsis an Nafta in USA und Kanada“ lautet ein Titel (1. 7.). Und im Text steht „Die Staatsführer appellierten für den Welthandel.“

Das Feuilleton setzt der gewaltsamen Umsiedlung von 40.000 Menschen im Baltikum „ein Filmdenkmal für stalinistische Verbrechen“ (15. 7.). Soll man diesen Verbrechen ein Denkmal widmen oder doch besser durch ein Mahnmal an sie erinnern?

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Allerdings darf man das unbewusst Schöpferische unserer Sprache nicht unterschätzen. Wer sich tiefe Sorgen um Österreichs Stichwahlkämpfer macht, um Briefwahlstimmenzähler und Wahlbeisitzer oder überhaupt um den hygienischen Zustand der Republik, der kann im Leitartikel schon einem gedanklichen Edelstein eine grammatikferne, jedoch gut verständliche Fassung geben: „Redet hier keiner miteinander?“, fragt die Autorin (3. 7.). Nein, nicht wirklich.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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