Multikultur funktioniert nur in Kunst und „Kulinaria“

Erkenntnisse der Migrationssoziologie zur multikulturellen Gesellschaft.

Die letzten Verfechter einer untergehenden Multikulti-Ideologie hofften während der Fußball-Europameisterschaft auf eine Renaissance ihrer Weltanschauung. Leider ist diese Renaissance nicht erfolgt. Gerade die einzelnen Teams mit ihren Spielern aus allen Teilen der Welt bewiesen, dass die Idee einer multikulturellen Gesellschaft in keiner sozialen Formation funktionieren kann.

In der Migrationssoziologie unterscheiden wir zwischen Multikultur, Interkultur und Intrakultur:

Die Multikultur signalisiert ein bindungsloses Nebeneinander verschiedener Kulturen. Sie funktioniert hervorragend, aber ausschließlich nur in Kunst und „Kulinaria“. Ein chinesisches, ein indonesisches und ein wienerisches Restaurant können nebeneinander gänzlich unabhängig existieren. Auch Kunstsausstellungen unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen stehen für sich allein.

Bekenntnis zur Fahne

In der Gesellschaft, im sozialen Ganzen funktioniert die Multikulturalität allerdings nicht, auch nicht in den klassischen Einwanderungsländern, wie in den Vereinigten Staaten, in Kanada oder in Australien. Nur das gemeinsame Bekenntnis zum Staat und zur Fahne eint schließlich die einzelnen Gemeinschaften, die auf den „unteren“ sozialen Ebenen ihr eigenständiges Leben führen.

Die Interkultur kennt bereits eine lose Verbindung verschiedener Kulturen; ihr Hauptmerkmal ist der gemeinsame Zweck bei Beibehaltung aller Eigenarten. Ein anschauliches Beispiel solcher inter- und informellen Gruppen bilden Straßenbahnbenützer, deren einziges Trachten ein schnelles Ankommen an den individuellen Zielen ist. Aus der Geschichte kennen wir solche interkulturellen Völker und Gesellschaften etwa aus der Turk-Zeit Mittelasiens. Das einzig Gemeinsame dieser Kulturen war die Abwehr der militärischen Gefahr aus dem Osten.

Die Intrakultur schließlich ist die ideale Form eines friedlich-gedeihlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen unterschiedlicher Abstammung und Religionen von Menschen.

Doppelte Loyalität

Ihr Hauptmerkmal nennen wir „Assimilation neu“. Während die klassische Assimilation eine völlige Aufgabe der mitgebrachten Kultur verlangte, basiert die neue Form auf der „Doppel-Loyalität“: Nach außen Aneignung der sprachlichen und kulturellen „Leitkultur“ und nach innen die Beibehaltung der mitgebrachten Kultur.

Das beste Beispiel einer sehr gut funktionierenden intrakulturellen Gemeinschaft ist eine Fußballmannschaft oder auch ein Gesangsverein: Die einzelnen Spieler und Sänger kommen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, doch sie spielen im gleichen Dress und singen in gleicher Bekleidung harmonisch miteinander. Auch ihr gemeinsames Ziel – siegen im Fußball, erfolgreich singen – eint sie.

Kulturen sind nie monolithisch; sie unterliegen verschiedenen Einflüssen und profitieren von den Bestandteilen der mitgebrachten Kulturen ihrer Einwanderer.

Angela Merkels anderer Weg

Geht man einen anderen Weg, wie das zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland unter Regierungschefin Angela Merkel der Fall ist, dann muss man mit dem Entstehen verschiedener Subkulturen rechnen, die im Krisenfall aneinandergeraten könnten. Wir hoffen trotzdem, dass es nicht dazu kommen wird.

Prof. Dr. Peter Stiegnitz studierte in Wien Soziologie, Philosophie und Ethnologie. Er war Bundesbeamter und ist em. Professor an der Universität Budapest. Sein jüngstes Buch, „Lebendige Religionen“, ist kürzlich im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2016)

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