Das Wild und sein Lebensraum

Freizeit und Erholung: Die Ansprüche an den Wald werden immer höher, der Stress für Wildtiere auch.

Der reiche Jäger, der wild um sich ballert und Schwammerlsucher und Mountainbiker des Waldes verweist. So wird das Bild des Jägers medial gern gemalt. Dabei werden von Kritikern Argumente ins Treffen geführt, die dazu führen, dass in der Öffentlichkeit ein Bild von der Jagd gezeigt wird, das der Realität nicht ansatzweise entspricht.

Die Jagd im 21. Jahrhundert steht aber in der Tat vor großen Herausforderungen. Das liegt weniger am Jäger als an der sich wandelnden Gesellschaft. Wald und Wild sind eine Symbiose, denn der Wald ist der natürliche Lebensraum unseres Wilds. Doch er gehört dem Wild nicht mehr allein.

Täglich wird es durch freizeitsuchende Waldbesucher gestört: Geocatcher, Boulder, Tourengeher, Skifahrer, Spaziergänger, Mountainbiker, Schwammerl- und Beerensucher. Dank modernster Technologien gönnt der Mensch dem Wild keine Ruhe mehr. Die ersten Schwammerlsucher kommen oft vor Morgengrauen in den Wald, die letzten Mountainbiker verlassen ihn, mit Stirnlampen bewaffnet, oft weit nach Sonnenuntergang.

Was das für das Wild bedeutet, darüber macht sich aber kaum jemand Gedanken. Im vergangenen Jahrhundert hat der Mensch das Wild zunehmend seines Lebensraums beraubt. In der Ebene betreiben wir eine Siedlungswirtschaft und monokulturelle Landwirtschaft, ernten mittels modernster Erntetechnik in kürzester Zeit Hunderte von Hektar und nehmen so dem Wild Nahrung und Lebensraum. Weit über der Baumgrenze versuchen wir jeden Quadratmeter Alm für den Tourismus zu nutzen: Skipisten, Rodelbahnen, Wanderwege und Mountainbikestrecken.

Spielregeln beibringen

Die große Herausforderung des Jägers ist es, diese Interessen mit Wild und Wald unter einen Hut zu bekommen. Das soll nicht heißen, den Waldbesucher aus dem Wald zu bekommen, sondern, ihm gewisse Spielregeln beizubringen. In vielen Revieren funktioniert dieses Miteinander reibungslos. Umso wichtiger ist es, den Waldbesucher weiter für Wald und Tiere zu sensibilisieren. Zum Wohl des Wilds, nicht des Jägers.

Ein Wanderer kündigt sich dem Wild durch Bewegungsgeräusche oder Stimmen an. Verlässt dieser die markierten Steige und Forststraßen nicht, hat sich das Wild vielfach an ihn gewöhnt, und der Besucher kann die Tiere oft aus nächster Nähe beobachten. Verlässt er den Steig aber nur um wenige Meter, flüchten die Tiere ruckartig.

Wie Raubwild

Mountainbiker und Skitourengeher kündigen sich dem Wild selten an und ähneln in ihrer Geschwindigkeit und dem Überraschungseffekt dem Raubwild. Das Wild muss sich unter großem Stress in Sicherheit bringen. Wenn im Winter meterweise Schnee fällt und die gesamte Äsung abdeckt, schaltet der Organismus des Wilds auf Notbetrieb.

Eigentlich könnte es so gut überwintern, doch viele Tourenskigeher und Wanderer akzeptieren weder Schonzeiten noch -gebiete, und das Wild muss von einer Sekunde auf die andere vom Energiesparmodus auf maximale Belastung umstellen. Eine Umstellung, die nicht selten tödlich endet.

Die Jagd ist die intensivste Auseinandersetzung mit der Natur. Das Forstgesetz definiert den Wald auch als Erholungsgebiet der Bevölkerung. Das ist auch gut so. Der Mensch darf dabei aber nicht außer Acht lassen, dass jeder Schritt im Wald ein Schritt im Lebensraum des Wilds ist. Nur durch gemeinsame Akzeptanz dieses Lebensraums können wir dafür sorgen, dass es auch in Zukunft ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Wald, Wild und Mensch gibt.

Der Autor ist Waldbesitzer und stellvertretender steirischer Landesjägermeister.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2016)

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