Zwischen Feminismus und Unterdrückung

Debatte um Burka, Niqab, Burkini: Kleiner Knigge zur Politisierung der Ent- und Verschleierung.

Einerseits ist die Burka Praxis und Symbol der Unterdrückung von Frauen und widerspricht unseren Werten, andererseits will man den Feminismus nicht von rechten männlichen Politikern umgesetzt sehen. Wie soll man da bloß eine vernünftige Position finden? Nichts einfacher als das. Aber auch nichts schwieriger. Ich bin so frei, den Schleier der Konfusion zu lüften. Das Grundproblem: Wer verwaltet unsere Werte, und wer sind wir?

Selbst radikalste Religionskritik und radikalster Feminismus müssen zunächst fragen, wer sich ihre Kritik aus welchen Gründen aneignet, um schließlich zu erkennen, dass hier Aufklärung als demagogisches Instrument der Dämonisierung von zugewanderten Menschen missbraucht wird, der kulturellen Markierung Unerwünschter, welcher stante pede Disziplinierung und Bestrafung zu folgen haben. Der knetbare Wertekatalog einer nie vollendeten Emanzipation füllt perfiderweise die Lücke, die einst die überlegenen „Rassenmerkmale“ der Volksgemeinschaft innehatten. Religionskritik, die mit freiheitlichen Dobermännchen und konservativen Schoßhündchen heult, hat sich längst mit einem falschen Wir verbiedert.

Touristinnen mit Niqab

Welch billiges Spiel hier getrieben wird, enthüllt die tatsächliche Präsenz von Burka-, Tschador- und Niqabträgerinnen in Österreich, die um etliches geringer sein dürfte als die fast nicht vorhandene Anwesenheit muslimischer Flüchtlinge in jenen osteuropäischen Ländern mit der größten Islamophobie.

Den Niqab tragen vor allem saudiarabische Frauen, in Österreich vorzüglich Touristinnen in Zell am See, über die Maria Fekter vor einigen Jahren zur „Presse“ ein geschäftstüchtiges Machtwort gesprochen hat: „Und diese Gäste kommen sehr gern zu uns und lassen viel Geld da, ich möchte sie nicht vertreiben.“ Vertrieben werden sollen andere, vor allem jene, die wegen dieser vermaledeiten Genfer Flüchtlingskonvention noch nicht vertrieben werden dürfen.

Anstatt muslimischen Frauen sanfte Integrationsangebote zu machen, werden sie einem sadistischen Doublebind zwischen repressiver Herkunftskultur und Kriminalisierung ausgesetzt. So eine Dummheit treibt Menschen genau dorthin, von wo man sie zu retten vorgegeben hat, und wird den Effekt haben, noch mehr hoffnungsvolle Köpfe sich verstecken zu lassen.

Wie oft hörte ich schon, vollverschleierte Frauen sähen aus wie Gespenster – in Österreich sind sie es auch, sie spuken vor allem in unseren manipulierten Fantasien herum. Die Hetze gegen dieses Phantom soll jede Form des Schleiers, auch das dezente Kopftuch, irreversibel als Frühstadium der Versklavung und Fokus unserer Abscheu codieren.

Da es sich um eine emotionale, aber scheinrationale Debatte handelt, dient sie unter dem Schleier von Aufklärung und Emanzipation zur Einrichtung denkfreier Räume, wo man unhinterfragbare Positionen haben, die Faust auf den Tisch knallen und kathartisch „Schluss mit Toleranz!“ rufen darf, mit jener Toleranz, die genauso undurchdacht wie ihre dünkelhafte Aufkündigung war.

Es geht um nicht mehr als um die kulturelle Abwertung einer zwangshomogenisierten Bevölkerungsgruppe, als Ouvertüre und Übertönung ihrer politischen und sozialen Entrechtung.

Bewusste Verschleierung

Ob wir Enkel kopftuchtragender Bergbäuerinnen es glauben oder nicht, Verschleierung wird von Musliminnen mitunter als bewusster Akt gesetzt, zum Beispiel, um die Sexualisierung ihres Körpers zu vereiteln. Damit tun sie im Grunde nichts anderes, als Frauen der ehemaligen Arbeiterklasse mit dem auf den Steiß tätowierten Hirschgeweih tun, bloß dass es Erstere im Vergleich zu Letzteren wissen.

Ich persönlich finde beides blöd, aber ich habe mich nun einmal für den liberalen Grundsatz entschieden, den Willen anderer zu akzeptieren und die Brechung des Willens anderer zu ahnden, nicht aber die Gebrochenen. Gläubige Musliminnen muss eine freie Gesellschaft ebenso ertragen können wie ÖVP-Politikerinnen in Dirndln und 1970er-Jahre-Frisuren oder Österreicher, die glauben, Klingonen zu sein.

Die streichelnde Hand manipuliert sie besser zur eigenen Façon hin als die strafende. Die strafende Hand erzeugt Angst, Trotz, Identifikation mit dem Bestrafungsgrund, sie schafft Heerscharen von verschleierten Frauen, Dirndlpolitikerinnen und Ösi-Klingonen.

Nicht weniger problematisch ist das feministische Sexualisierungsargument, das neuerdings den diskriminierten muslimischen Schwestern wieder unter die Arme greifen will: Diese würden dafür bestraft, dass sie sich dem männlichen Wunschbild des entblößten weiblichen Körpers entzögen. Dieses Argument entblößt sich selbst als das Diapositiv zur Reduktion verschleierter Frauen auf Opfer patriarchaler Macht, denn es spricht der westlichen, sich entblößenden Frau gleichfalls ihre Autonomie ab. Wie viel sexistische Macht die Gesellschaft auch und noch immer durchtränken mag, das Recht auf Entblößung, ob entsexualisiert oder erotisierend, liegt beim sich entblößenden Subjekt: Ihm patriarchalen Konformismus zu unterstellen ist ebenso arrogant und kurzsichtig, wie ihn jeder gläubigen Muslimin vorzuwerfen.

Eine wirklich freie Gesellschaft wird dereinst die völlige Nacktheit im öffentlichen Raum nicht als öffentliches Ärgernis ahnden, sondern den Begattungswunsch, den diese angeblich naturhaft hervorruft. Dass das funktioniert, beweisen 100 Jahre Nudismus. Und auch das erotische Spiel von Entblößung und Verhüllung und alle möglichen Zwischenformen haben weder die Gewalt von Individuen noch von Gesetzgebern auf den Plan zu rufen.

Wäre noch der Burkini. Das dümmste Argument für dessen Verbot in öffentlichen Bädern schwimmt mit den Schwimmflügerln der gesundheitstechnokratischen Expertise daher: Ganzkörperbadeanzüge stellten ein hygienisches Problem dar und verschmutzten das Badewasser. Das erklärt auch, warum sich Schiedsrichter und Publikum stets vor Ekel abwenden, wenn Olympionikinnen in Ganzkörpertrikots durchs Wasser gleiten.

Hygienische Maßnahme

Diese Verschleierung hat zumindest das rationale Argument auf ihrer Seite, dass das Trikot den Hautwiderstand verringert. Niemand käme aber auf die Idee, den Burkini als hygienische Maßnahme zu würdigen, Hautreste, Schweiß und andere Sekrete des fremden Körpers daran zu hindern, sich mit autochthonem Chlor und dem hygienisch auch unbedenklichen Lulu chemisch zu verbinden, das ab circa 16Uhr das unvermeidbare Ingrediens eines jeden Badebeckens ausmacht.

Dass Melk an der Donau, die Kleinstadt meiner Jugend, einer der ersten Orte war, in dem das Burkiniverbot verhängt wurde, jene Stadt, in der es vor Mönchen in schwarzen Djellabas nur so gewimmelt hat, liefert bloß noch einen der vielen Push-Faktoren nach, die mich zur Binnenmigration nach Wien getrieben haben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Richard Schuberth
(*1968 in Ybbs an der Donau) ist Schriftsteller, Gesellschaftskritiker und Satiriker. Er studierte Ethnologie, Philosophie, Psychologie und Geschichte in Wien. Sein jüngstes Buch, „Karl Kraus – 30 und drei Anstiftungen“

(Klever-Verlag), wird am 4. Oktober

im Theater Nestroyhof – Hamakom präsentiert. [ Mehmet Emir]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2016)

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