Zehn Wochen, ein Thema US-Wahl in der Zielgeraden

Wie kann es sein, dass ein Trump-Sieg nicht kategorisch auszuschließen ist? Am besten beim „Presse“-Korrespondenten nachlesen.

Presse“-Korrespondent Oliver Grimm lebt seit einigen Jahren in Washington, reist viel und berichtet unermüdlich über alle Aspekte der amerikanischen Gesellschaft. Also nicht nur über Politik, die sich seit Februar vom gnadenlosen Auswahlverfahren der Präsidentschaftskandidaten hypnotisieren ließ und jetzt auf die tatsächliche Stichwahl zwischen zwei Kandidaten am 8. November zusteuert. Er schreibt über den Alltag, die Minderheiten, die Rolle der Waffenlobby und erläutert, was aus den Tea-Party-Extremisten geworden ist, die die Republikanische Partei von innen her ruiniert haben. Endgültig? Am zweiten Dienstag im November wird sich das entscheiden.

Der Korrespondent analysiert mit unglaublicher Sachkenntnis und eindrucksvoller Leistungsfähigkeit, was jenseits des Ozeans läuft. Wenn man das mögliche Wahlergebnis auf die Weltlage hochrechnet, geht es dort auf Biegen und Brechen. Gewissermaßen neben der Tagesarbeit bezieht er als Österreicher auch uns in seinen Beobachtungsradar ein. Dann erfahren wir, „dass wir Europäer nach sechs Jahrzehnten des politischen und wirtschaftlichen Einigungswerks immer noch bedauerlich wenig voneinander wissen“.

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Wo bei uns die guten Heurigen zu finden sind, wissen vor allem die Wiener, Niederösterreicher und Burgenländer. Aber auch mit der Grammatik sollte es stimmen. Ein Verein habe „zwei weitere Heurigen als Topheurigen ausgezeichnet“ (12. 8.). Das klingt nicht gut, er hat zwei Heurige ausgezeichnet. Das Deklinationsproblem ist ähnlich wie bei den in der vorigen „Spiegelschrift“ behandelten Beamten. Auch diese haben, wenn sie ohne Artikel angesprochen werden, im vierten Fall kein Endungs-n.

Die Tiroler Seilbahnunternehmen wandern wirtschaftlich auf einem schmalen Grat, nicht aber auf einem Grad, wie es in einem Zwischentitel zu lesen ist: „Der schmale Grad zum Eigennutzen.“ (14. 8.)

Ein Vater klärt seine Tochter „so einfühlsam als möglich über das Grauen“ in Nizza auf (14. 8.). Er hätte es so einfühlsam“ wie möglich“ tun sollen.

Die Sperre des Gleinalmtunnels behindert Rettungsfahren: „Vor allem für Fahrten von und in die Bezirke seien die Fahrtplanungen um eine Stunde früher angesetzt worden“, wird berichtet (9. 8.) Doch gehen sich „Fahrten von und in die Bezirke“ sprachlich nicht aus. Fahrten gehen entweder von den Bezirken oder in die Bezirke.

Am Klausersee seien die einstigen Arbeiterwohnungen „geschliffen“ worden (14. 8.). Geschliffen werden Messer und Scheren, die Häuser wurden geschleift.

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Die interessante Reportage über die versunkene Industriewelt am Klauser Stausee hätte gewiss eine Kartenskizze verdient, denn so bekannt ist diese schöne, aber verschlafene Gegend rund um das Gewässer in Oberösterreich nicht. Ich erwähne diesen Mangel vor allem, weil mir in jüngster Zeit eigentlich sehr positiv auffällt, dass sich „Die Presse“ bemüht, ihren Lesern das Verständnis zu erleichtern. So sammelte ich bei der Lektüre freundliche Hinweistafeln und zähle einige auf: „Die Channels (Sender) bekommen ihre strategischen Ziele vor der gesamten Geschäftsführung vorgelegt.“

In Spanien löste ein „Flashmob (ein über soziale Medien spontan organisiertes Massentreffen)“ eine Panik aus.

Selbst die viel zitierten drei Buchstaben NGO werden im ersten Satz eines Artikels mit „Nichtregierungsorganisation“ übersetzt. Muss ja nicht immer sein, aber wenn, dann hilft so ein Hinweis weiter.

Je schwieriger freilich ein Begriff ist, desto mühsamer wird die Erklärung, zumal sie sehr kurz sein muss. So lese ich: Um auf den Aufnahmen der Sonne Muster zu erkennen, entwickeln die Astronomen „Algorithmen, also Rechenschritte am Computer“. Genügt das? (6. 8.)

Die Sonderseiten „Wissen“schwanken in ihren Beiträgen mitunter zwischen simplen Weisheiten und undurchdringlicher Gelehrtheit. Die zweite der genannten Möglichkeiten bewog einen Autor offensichtlich, Verständlichkeit gar nicht erst zu versuchen. Die „k-freien Polymerwerte in der Mathematik“ durchpflügen einen ganzen Artikel. „Mathematik baut Brücken“, lautet zwar der Titel, doch müssten die meisten Leser wohl erst einmal Mathematik studieren, um die Brücken zu erreichen (30. 7.).

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Sommerurlaub ist, und diejenigen, die in der Redaktion verblieben sind, haben wegen Unterbesetzung ihrer Abteilungen die liebe Not. Denk- und Kunstfehler häufen sich, das Vieraugenprinzip der Kontrolle setzt aus. Die Leiterin des Belvedere, Agnes Husslein-Arco, sei als Direktorin „365 Jahre im Jahr rund um die Uhr im Einsatz“ gewesen (2. 8.). Das ist ziemlich viel. Im Kernforschungszentrum CERN steht seit 2004 „an prominenter Statue eine Shivastatue“ (19. 8.). Räuberische Wespen könnten sich bei hohen Temperaturen „in ihrem Bienenstock zu Tode heizen“. Was haben sie im Bienenstock zu suchen? Besser doppelt als gar nicht, sagt das Feuilleton, und stellt die Kabarettpreise 2016 einmal auf die linke, einmal auf die rechte Zeitungsseite (24. 8.).

Das Wort „bespielen“ entfaltet sich unmerklich zu einem zu jeder journalistischen Blüte fliegenden Schmetterling, ressortübergreifend gleich dreimal am 5. August: „Die Presse“ kenne erfolgreiche Gastronomen, „die fünf Restaurants im ersten und zweiten Wiener Bezirk bespielen“. Nur wenige Regierungen ließen sich von der olympischen Idee faszinieren, denn: „Es gibt ohnehin allerorts genug andere Baustellen, die von der Politik zu bespielen sind. Es gäbe Ideen für Brückenkonstruktionen – wie auf Baustellen der Wiener Tangente könnte man die ja bespielen.“ Und einen Tag davor: In Deutschland hatten die Busse bis Anfang 2013 keine Genehmigung, „Strecken zu bespielen, die bereits von der Bahn befahren wurden“ (4. 8.). Aufmerksame Leser werden in diesem Sommer Augenzeugen der Geburt eines Modewortes. Dieses kann man dann ewig bespielen.

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Manche Musikkritiker sind Menschenfreunde und äußern sich keineswegs verächtlich über Konzert- und Operngäste, die nicht bei jedem Ton so tun, als seien sie bereits verzückt. Die gründliche Behandlung der diesjährige Salzburger Festspiele bot die Gelegenheit, dem Publikum der Oper „Die Liebe der Danae“ von Richard Strauss ein nicht akustisches Glück zu gönnen: Die Besucher würden sich später eher an den mehrmals auf die Bühne gezogenen weißen Elefanten erinnern als an eine kompositorische Sequenz.

Schon deshalb verzeiht man dem Autor gern, dass er in seinen Text „die extreme Tessitura der Partie des Jupiter“ einstreut, so, als müssten wir wissen, was das ist (2. 8.). Und wenn er dann noch über die Oper „Exterminating Angel“ schreibt, es habe gar nicht weh getan – „Es ist ja mit Uraufführungen ein wenig so wie mit Besuchen beim Zahnarzt“ (30. 7.), dann ist jedermann versöhnt, der die Musik am liebsten hat, wenn ihr Lärm zugleich ein Genuss ist.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2016)

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