Die Mogelpackung aus der SPÖ-Werkstatt

Der Vorschlag für eine Wertschöpfungsabgabe lässt viele Fragen offen: Soll so das Sozialsystem auf Industrie 4.0 vorbereitet werden? Und warum wird nicht nachgedacht, wie Einnahmen effektiver eingesetzt werden können?

Seit Jahren frage nicht nur ich mich, wie die sagenumwobene Wertschöpfungsabgabe berechnet werden könnte. Eine diffizile, gar nicht leicht zu beantwortende Frage. Nun hat die SPÖ vor Kurzem ein Konzept vorgelegt, das den Einstieg in diese Form der Besteuerung darstellen soll (siehe auch „Die Presse“ vom 20.8.).

Meine Verwunderung angesichts dieses Vorschlags nimmt kein Ende. Hatte ich doch bisher in der Illusion gelebt, diese Abgabe habe zum Ziel, arbeitsintensive Tätigkeiten zu entlasten und Betrieben mit hoher Automation einen adäquaten Mehrbetrag abzufordern. Diese Idee hat ihre Logik: Wo es bei hoher Wertschöpfung an Arbeitskräften fehlt, gehen Beiträge verloren, denn Maschinen erhalten keinen Lohn und zahlen keine Sozialversicherung, Arbeitskräfte fallen aus der Beschäftigung und nehmen das auf schrumpfender Basis finanzierte Sozialsystem in Anspruch. Trotz hoher Produktionswerte fehlen damit ausreichend Mittel für die Sicherung des Sozialstaats. So weit die Theorie.

Der SPÖ ist das Kunststück gelungen, einen Vorschlag zum Einstieg in die Wertschöpfungsabgabe vorzulegen, der das genaue Gegenteil dessen ist, was er zu sein behauptet. Wenn man sich zu Gemüte führt, wer die Belastungen dieser Steuer zu tragen hat, fragt man sich, was das mit einer Wertschöpfungsabgabe zu tun haben soll. Entlastet werden etwa Industrie und Bauwirtschaft (inzwischen ebenfalls hoch industrialisiert).

Also vorwiegend Bereiche mit steigender Produktivität und sinkender Beschäftigung. Wie man auf diese Art das Sozialsystem für die derzeit herumgeisternden Szenarien von Industrie 4.0 fit machen will, bleibt rätselhaft.

Schwere Belastungen

Das vorliegende Konzept zur Umschichtung der Beitragseinhebung für den Familienlastenausgleichsfonds (Flaf) konterkariert alle Behauptungen, man wolle den Menschen den erfolgreichen Einstieg in die Selbstständigkeit und das Verbleiben in ihr erleichtern. Insbesondere EPU und KMU werden nämlich von dieser angeblichen Wertschöpfungsabgabe schwer belastet, ebenso alle Arten von Freiberuflern. Ein geplanter Freibetrag für EPU ist da kein Trost – diese Freibeträge werden durch konsequente Nichtanpassung an die Inflation in kürzester Zeit wertlos.

Eine echte Wertschöpfungsabgabe müsste alle Investitionen umfassen, aber genau diese sind in dem SP-Konzept ausgenommen. Dafür ist die Einbeziehung von Fremdkapitalzinsen in die Berechnungsbasis vorgesehen: Die ohnehin kapitalschwachen österreichischen Betriebe werden belastet und weiter geschwächt.

Offenbar betrachtet die SPÖ die EPU und Eigentümer von KMU nicht als Arbeitskräfte. Die von diesen Menschen erarbeiteten Gewinne (in Wahrheit meist ein nicht gerade üppiger Unternehmerlohn) werden zusätzlich besteuert, anstatt diese Einkommen – wie jene aus unselbstständiger Arbeit – von Nebenkosten zu entlasten. Im Bereich gut verdienender Freiberufler (auch dort gibt es aber jede Menge prekärer Schlechtverdiener) ist diese neue Abgabe nichts anderes als ein versteckter Zuschlag auf die Einkommensteuer.

Wenn man diese Leute höher besteuern will, dann soll man das laut sagen und nicht unter einer den wahren Sachverhalt verschleiernden Bezeichnung die Gewinnsteuern erhöhen. Anstatt die vielen Selbstständigen in selbstausbeutendem Prekariat vom Wahnsinn der Mindestbeiträge zur SV zu befreien (bei Niedrigsteinkommen führt das zu bis zu 1100 Euro p. a. niedrigeren Einkommen gegenüber Unselbständigen), will man ihnen weitere Kosten aufbürden.

Ziel nicht erreicht

Halten wir fest: In der konkreten österreichischen Wirtschaftsstruktur stellt die Umschichtung der Flaf-Beiträge das Gegenteil einer Wertschöpfungsabgabe dar. Das angebliche Ziel einer solchen Abgabe wird nicht erreicht. Anstatt personalintensive Tätigkeiten zu entlasten, werden genau dort in großen Bereichen der österreichischen Wirtschaft zusätzliche Kosten entstehen. Die österreichischen EPU und KMU, wesentliche Träger unserer Wirtschaft, werden erneut belastet, und ihre Eigenkapitalbasis wird weiter geschwächt.

Die eigentlichen „Tatverdächtigen“, die vermuteten Profiteure von Industrie 4.0, werden dagegen entlastet. Eine totale Verkehrung der Grundidee. Der Verdacht liegt nahe, dass wieder einmal die Gewerkschaft der SPÖ ein faules Ei gelegt hat. Erstaunlich am Konzept ist nämlich, dass die Entlastung vorwiegend in Wirtschaftsbereichen erfolgt, in denen die Gewerkschaft noch halbwegs stark organisiert ist, die Belastung jedoch dort vorgenommen wird, wo deren Organisationsgrad deutlich schwächelt.

Das hat wie so oft zur Folge, dass die Erneuerungskraft der österreichischen Wirtschaft mittels strukturkonservierender Maßnahmen geschwächt wird. Es stellt sich ohnedies die Frage, wie sinnvoll es ist, mit einem Vorschlag zur Wertschöpfungsabgabe vorzupreschen, ohne vorher eine grundsätzliche Diskussion über diese Art der Finanzierung des Sozialstaats zu führen. Das beginnt bei den zugrundeliegenden Annahmen über Industrie 4.0 – niemand kann heute mit Sicherheit sagen, welche der Szenarien wirklich eintreffen werden. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass mittel- und langfristig tatsächlich mehr Arbeitsplätze wegfallen könnten als neu geschaffen werden. Aber sicher ist das keineswegs.

Wir wissen nämlich nicht, welche neuen Möglichkeiten und Berufe sich aus den informationstechnologischen Umwälzungen ergeben werden – und wie diese Umwälzungen letzten Endes aussehen werden.

Völlig unklar ist, ob Wertschöpfungsabgaben in der bisher gedachten Form überhaupt zielführend sind. Einerseits erfolgt damit eine zusätzliche Besteuerung der Arbeitskraft der Selbstständigen. Andererseits könnte eine spürbare Besteuerung des Produktionskapitals zu einer Schwächung der Investitionstätigkeit und in Folge zu niedrigen Produktivitätszuwächsen mitsamt stagnierenden Reallöhnen führen. Die Diskussion über diese Problematik wurde bis heute von der Politik nicht ernsthaft geführt.

Verschwendung Föderalismus

Grundsätzlich stellt sich auch mir als Sozialdemokraten die Frage, warum man in einem Land mit unserer Abgabenquote nicht zuerst eine Debatte darüber führt, wie die Einnahmen effektiver eingesetzt werden können. Der Föderalismus ist eine Geldvernichtungsmaschine (der Gedanke an eine Steuerhoheit der Länder lässt den gelernten Österreicher angsterstarrt zurück).

Die Sozialdemokratie aber sollte einmal intensiv darüber nachdenken, ob nicht eine Deregulierung von links erforderlich ist, die endlich all die im Lauf der Jahre herangewucherten Bürokratieinstitutionen infrage stellt, die heute für Sozialdemokratie gehalten werden. Solange diese Diskussionen nicht geführt sind, sollte man die Problemlagen nicht mittels Mogelpackungen à la Flaf-Wertschöpfungsabgabe verschleiern. Die Leute könnten es nämlich bemerken.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Amon
(*1954 in Wien) lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Romancier und Essayist ist außerdem geschäftsführender Gesellschafter einer kleinen Steuerberatungskanzlei. Zuletzt erschienen zwei Bücher von ihm: „Panikroman“, sowohl Psychogramm eines Börsenhändlers als auch der Finanzmärkte, und „Nachruf verpflichtet“ als Band drei der „Wiener Bibliothek der Vergeblichkeiten“. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2016)

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