Der Neoliberalismus ist eine große Erfolgstory

Will Stefan Schulmeister das Rad der Globalisierung zurückdrehen?

Stephan Schulmeister präsentiert seine einfache Grundthese („Presse“-Kommentar vom 30. 8.) wie immer eingebettet in eine historische Perspektive und gewickelt in die Watte seiner marktkritischen Ideologie. Die historische Perspektive stellt sich so dar: Da hat es die lichtvolle Aufklärung (Siècle des Lumières) gegeben, verbunden mit Namen, wie Hume, Kant, Rousseau, Marx und Keynes, die die Menschen von den Zwängen der Religion und der undemokratischen Herrschaftsformen befreit hat, insbesondere durch die Einführung von Grundrechten und den Auf- und Ausbau des Sozialstaats.

Angestachelt durch den großen Erfolg von Keynes' „General Theory“ startete Hayek mit seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ und der Gründung der Mont-Pèlerin-Gesellschaft eine Gegenaufklärung, die die Welt in die Finsternis des Neoliberalismus zurückstieß, gekennzeichnet durch flexible Wechselkurse, Budgetdisziplin, Abbau des Sozialstaats, Kürzung der Löhne und Deregulierung geschützter Märkte, einschließlich der Finanzmärkte. Nun gehe es darum, diesen Müll der neoliberalen Gegenrevolution aus den Köpfen der Eliten zu entsorgen.

Stellen wir eines außer Streit. Die grundsätzlich sinnvolle Deregulierung der Finanzmärkte und der dort agierenden Finanzinstitutionen ist in Summe schiefgelaufen. Die teuren Lehren wurden daraus gezogen, bessere Regulierungsregimes sind auf dem Weg, die hoffentlich die Wahrscheinlichkeit und Schwere zukünftiger Finanzkrisen reduzieren werden. Davon abgesehen, war der als dritter Weg neben Paläoliberalismus und Kommunismus von den Vertretern der Sozialen Marktwirtschaft Ende des Zweiten Weltkriegs konzipierte Neoliberalismus eine riesige Erfolgsstory. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1950 verdreifacht, und sie kann ernährt werden. Der Anteil der Ärmsten sinkt kontinuierlich, nicht zuletzt dank marktwirtschaftlicher Reformen in großen Ländern. Vergessen wir den „Aufklärer“ Marx und wenden wir uns Keynes zu. Er hat sein Opus Magnum im Wesentlichen für eine geschlossene Volkswirtschaft verfasst und nicht für die heute existierende globalisierte Weltwirtschaft, die z. B. mit fixen Wechselkursen nicht funktionieren könnte. Keynes hat auch nie für eine permanente Budgetdefizitpolitik mit ständig steigender Staatsverschuldung plädiert, wie dies nicht nur von Österreich praktiziert wurde. Von einem Sozialabbau in Europa kann angesichts langfristig konstanter bis leicht steigender Anteile der Sozialausgaben am BIP nicht gesprochen werden. Das Problem sind demografische Entwicklung und teurer medizintechnischer Fortschritt. Auch Lohnkürzungen sind mit wenigen Ausnahmen in Europa ausgeblieben.

Eingeschränkte Sicht

Wenn Schulmeister beklagt, der Neoliberalismus habe den Primat der Politik durch den Primat der Märkte ersetzt, ist dies eine sehr eingeschränkte Sicht der Realität. Die europäische Integration und allgemeiner die Globalisierung der Wirtschaft haben entscheidend zu unserem heute erreichten Wohlstand beigetragen. Sie haben aber spiegelbildlich und unvermeidlich den Handlungsspielraum der Nationalstaaten eingeschränkt und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu einem Primärziel der Politik gemacht.

Daher die Forderung nach Flexibilität, Offenheit, ständiger Innovation, Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen, Strukturreformen, maßvolle Lohnstückkostenentwicklung. Länder, die diesen Anforderungen nicht genügen, erleiden ernste wirtschaftliche Nachteile. Man kann es, wie Schulmeister, „Bestrafung durch die Märkte“ nennen. Hat Schulmeister vielleicht eine „hidden agenda“ und will er das Rad der Globalisierung zurückdrehen? Träumt er von einer Felber'schen Gemeinwohlökonomie?

Der Autor leitete zuletzt den Bereich Wirtschaft und Industriepolitik der IV.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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