Im Textilkäfig mit Sichtbehinderung

Burka, Niqab oder andere Formen der Verschleierung sind Symbole eines politischen Islam, der die Entrechtung der Frauen als gottgewollt sieht. Wo bleibt der Aufschrei der sich als links wähnenden Feministinnen?

In der Hühnerzucht wurde die Käfighaltung abgeschafft – aber Frauen dürfen im dritten Jahrtausend noch immer in einem Textilkäfig mit Sichtbehinderung gehalten werden. Wo bleibt der Aufschrei der sich links wähnenden Feministinnen – egal, ob Sozialdemokratinnen, Kommunistinnen oder Grüne? Überwiegt die Angst davor, von den eigenen Genossen, Freunden, Kollegen des Aufspringens auf den Zug der Rechtspopulisten bezichtigt zu werden? Werden grundlegende Frauenrechte wieder einmal auf dem Altar des politischen Nebenwiderspruchs geopfert?

Erste Klarstellung: Wenn sich ein VP-Minister Sebastian Kurz oder die FPÖ für ein Verschleierungsverbot starkmachen, dann nicht, weil sie plötzlich die Frauenrechte entdeckt haben, sondern weil sie Wahlkampf führen. Die FPÖ will die Bundespräsidentenwahl gewinnen, und Kurz legt bereits die Schienen für die nächsten Nationalratswahlen. Der Außen- und Integrationsminister verband die Forderung nach einem Verschleierungsverbot mit der Forderung nach Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte.

Die Wirtschaftskammer applaudierte erwartungsgemäß. Und vom ÖGB ist zu diesem Thema kaum etwas zu hören. Dabei ist absehbar, dass Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte ganz rasch vom Verfassungsgerichtshof im Dienst der Gleichheit zu Ein-Euro-Jobs für alle gemacht werden.

Politischer Missbrauch

Zweite Klarstellung: Es geht nicht um eine Bekämpfung des Islam, sondern um einen Kampf gegen eine Minderheit unter den Muslimen, die den Islam politisch missbraucht, um eine Islamisierung Europas zu installieren. Wenn sich Feministinnen für ein Verschleierungsverbot aussprechen, brauchen sie sich von der Politik noch lang nicht des Rassismus bezichtigen oder sich ins rechte Eck stellen zu lassen. Völlig inakzeptabel sind die Positionierungen mancher Frauen, wenn sie die Verschleierung gar als Freiheit sehen wollen.

So wie Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, die meinte: „Wenn ich eine Burka tragen will, kann ich eine tragen – und aus.“ Sie will und muss aber keine tragen, im Gegensatz zu den Musliminnen, die von ihren männlichen Vormündern als politische Litfasssäulen missbraucht werden, wenn sie deren Geisteshaltung durch ihre Zwangskleidung bekunden müssen. Nun könnte man Julia Herr zugutehalten, dass sie einer Generation angehört, für die viele Frauenrechte bereits eine Selbstverständlichkeit sind.

Das berechtigt aber nicht zu solcher Ignoranz im Umgang mit dem Thema. Es geht nämlich nicht darum, ob Frau Herr eine Burka tragen will, sondern ob in Afghanistan und Pakistan noch immer Frauen und Mädchen, die die Burka ablegen, mit Säure die Gesichter verätzt werden. Und es geht darum, ob wir dieses politische Statement einer Burka im Europa des 21. Jahrhunderts tolerieren wollen.

Wenn Frauen ihre Haare, ihr Gesicht oder gar den ganzen Körper mit einen schwarzen Umhang verhüllen, so tun sie dies meist, weil sie sich in entwürdigender Weise einer männlichen Machtausübung unterwerfen (müssen). Diese Frauen erleiden tagtäglich, dass ihr Körper nicht für sie selbst da ist, sondern für andere, die über ebendiesen auch bestimmen können.

Egal, ob Kopftuch, Niqab oder Burka – das sind keine Modeaccessoires, sondern politische und religiöse Symbole, für die Frauen als Trägerinnen herhalten. Alice Schwarzer schreibt: „Der Schleier ist keine Modemarke, sondern ein Vorposten der weltweiten Gewalt gegen Frauen.“

Entrechtung von Frauen

Egal, wie diese Schleier heißen oder wie viel sie verhüllen, sie sind Symbole eines politischen Islam, der die Entrechtung von Frauen als gottgewollt betrachtet. Das Argument, die Verschleierung sei nur ein Minderheitenthema für reiche Touristinnen aus den Golfstaaten, hält nicht. Und selbst wenn – im Schweizer Tessin wurde bereits im Vorjahr ein Verschleierungsverbot per Gesetz verfügt, was dazu führte, dass die meisten Touristinnen aus den Golfstaaten plötzlich ihr Gesicht zeigen durften.

Leider leisten auch so manche Flüchtlingsbetreuer ihren – unprofessionellen – Beitrag dazu, dass jungen Männern aus streng islamischen Gesellschaften der Zugang zu unserer gesellschaftlichen Realität erschwert wird. So tragen etwa Betreuerinnen beim Badeausflug mit den Jugendlichen ganzteilige Badeanzüge, um von ihnen weiterhin ernst genommen zu werden, da ein Bikini als zu provokant empfunden werden könnte. Aus ähnlichen Gründen wird religiöses Nichtbekenntnis meist verschwiegen, um nicht als „ungläubig“ zu gelten, wodurch der mühsam erarbeitete Respekt der Jugendlichen verloren ginge.

Ob Bikini oder religiöse Bekenntnislosigkeit, hier handelt es sich um Selbstverständlichkeiten, die für Europäerinnen zum normalen Leben gehören, die sie nun aber im Umgang mit streng islamischen Jugendlichen plötzlich verschweigen, verstecken, verleugnen müssen!

Wie sollen etwa afghanische Jugendliche ein aufgeklärtes Frauenbild bekommen und einen respektvollen Umgang mit Frauen erlernen, wenn sich bereits ihre österreichischen Betreuerinnen derart verbiegen müssen? Und genau solche Praktiken sind mitschuld daran, dass die Rechten in Österreich erschreckend mehr werden, dass die Identitären immer frecher werden und die Medien bereits jetzt einen H.-C. Strache als nächsten Bundeskanzler abfeiern.

Es ist für die Menschen nicht nachvollziehbar, warum europäische Frauen auf Bikini und bauchfreie Tops verzichten sollen. Werden so etwa auf Schleichwegen islamische Bekleidungsvorschriften und, was viel schlimmer ist, ein menschenverachtendes Frauenbild schön langsam eingeführt?

Religionsfreiheit heißt auch Recht auf Freiheit von der Religion Auch die Religionsfreiheit hat Grenzen. Dort, wo sie die Freiheit anderer beschneidet. Wenn Mädchen nicht am gemeinsamen Turn-oder Schwimmunterricht teilnehmen oder plötzlich Kopftuch tragen und „unrein“ sind.

Schutz vor Fanatismus

Wenn wir muslimische Asylwerberinnen wirklich schützen wollen, dann muss das im Kindergarten und in der Schule beginnen, wo wir sie vor religiös verbrämtem politischen Fanatismus schützen, vor dem sie meist sowieso geflüchtet sind. Das heißt, weg mit allen religiösen Symbolen aus den Schulen. Religion ist Privatsache und hat an Schulen nichts verloren. Aber da höre ich schon unsere katholischen Fundis aufschreien von wegen „unsere Kultur, Konkordat“ usw.

Als die Vize-Chefin der CDU Julia Klöckner ein Verbot von Burka und Nikab in Deutschland forderte, erntete sie harsche Kritik vonseiten der Grünen. Doch Klöckners Antwort war klar: „Man kann nicht für die Gleichstellung der Frau und die Quote kämpfen und gleichzeitig wegsehen, wenn Frauen sich nur aus einem Grund verhüllen müssen: Weil sie keine Männer sind. Wieso sollen wir tolerant gegenüber Intoleranten sein?“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTORIN



Karin Antlanger,
Jahrgang 1958, ist seit ihrer Mittelschulzeit in der linken Frauenbewegung engagiert. Sie ist als Juristin und Sozialarbeiterin in einem Psychosozialen Zentrum in Linz tätig,

wo sie auch seit beinahe zwei Jahrzehnten als Betriebsrätin für Frauenrechte aktiv ist. [ privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2016)

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