Handelsabkommen: Die Demokratie im Chlorbad

Der Versuch, TTIP als das böse und Ceta als das gute Abkommen darzustellen, ist untauglich. Beide sind gefährlich.

Vergessen Sie die Chlorhühnchen! Weder TTIP noch Ceta werden mit Chlor desinfiziertes Geflügel auf den europäischen Markt bringen, schon politisch wäre dies nicht durchsetzbar. Gesundheitlich bedenklich wären die Chlorhühnchen nach allem, was wir wissen, ebenso wenig – aber sei's drum: Niemand in Europa wird in absehbarer Zeit ein Chlorhuhn auf seinem Teller finden. Reden wir also endlich über das, was die beiden Handelsabkommen wirklich brisant macht: Sie sind eine Gefahr für die Demokratie, wie wir sie kennen.

Es ist interessant zu verfolgen, wie sich vor allem die Befürworter der Handelsabkommen am Chlorhuhn abarbeiten, um sich wegzuducken, wenn es ans Eingemachte geht. Man tut gerade so, als seien TTIP und Ceta Freihandelsabkommen wie viele andere auch. Das ist mitnichten so. Sie sind vielmehr die ersten einer neuen Generation von Abkommen, bei denen es nicht mehr zentral um den Abbau von Zöllen oder technischen Handelshemmnissen geht.

Es geht, vereinfacht gesagt, darum, wie wir in Zukunft Regeln aufstellen können. Regeln, die uns alle angehen, die Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte oder den Umweltschutz betreffen.

Der Wert der Wählerstimme

Es ist Absicht und Natur eines jeden völkerrechtlich bindenden Vertrags, dass er die Handlungsspielräume der Gesetzgeber zugunsten des internationalen Abkommens einschränkt. Parlamente geben durch die gewollte Bindung Freiheiten auf, der Wert der Stimme eines Wählers sinkt. Das sollte sich vor Augen führen, wer bewerten will, wie tief die Einschnitte bei TTIP und Ceta sind und ob wir sie in Kauf nehmen wollen für die ziemlich vage Aussicht auf allenfalls kleine wirtschaftliche Effekte.

Befürworter des Abkommens bedienen sich gern einem leicht zu durchschauenden rhetorischen Kniff: Das Recht zur Regulierung, betonen sie, bleibe erhalten – die Regulierungshoheit also dort, wo sie heute bereits liegt.

Das ist nur formaljuristisch richtig: Freilich nimmt niemand dem österreichischen Parlament das Recht, auch künftig selbst über nationale Gesetze abzustimmen. Doch verstößt es dabei gegen Absprachen eines Handelsabkommens, wenn es zum Beispiel einen neuen Verbraucherschutzstandard ohne die Zustimmung des Vertragspartners beschließt, so geht dies nur unter Inkaufnahme von Handelssanktionen und Vertragsstrafen. Ein Mechanismus, der bei Parlamentariern und Regulierungsbehörden wie eine Schere im Kopf wirkt.

Machen wir uns nichts vor: Eine von vielen Konsumenten ersehnte bessere Kennzeichnung von Agrargentechnik beispielsweise wird es damit auf lange Sicht nicht geben. Denn die Zustimmung Kanadas und der Vereinigten Staaten für ein solches Unterfangen sind reine Utopie.

Ein Kernelement von TTIP und Ceta ist die sogenannte regulatorische Kooperation. Die Verträge werden nicht einfach abgeschlossen, als „lebende Abkommen“ sollen sie sich ständig weiterentwickeln. Im Zentrum dieser ständigen Weiterentwicklung steht dabei ein Ausschuss-System.

Der Hauptausschuss gemäß dem bereits ausverhandelten Ceta-Abkommens ist der „Gemischte Ausschuss“, ein allein mit Exekutiv-Vertretern der EU-Kommission und der kanadischen Regierung besetztes Gremium, das ohne ausreichende demokratische Legitimation ermächtig ist, Verfahrensvorschriften zu erlassen und sogar Änderungen am Ceta-Vertrag vorzunehmen. Eine Beteiligung von Parlamentariern ist dabei ebenso wenig vorgesehen wie die eines österreichischen Vertreters. Die Vertragspartner hätten sich den Entscheidungen zu unterwerfen.

Oberstes Gericht muss prüfen

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Foodwatch in Deutschland Verfassungsbeschwerde gegen Ceta eingereicht. Das oberste Gericht muss prüfen, ob eine solche Struktur gegen das deutsche Grundgesetz verstößt. Demokratiepolitisch inakzeptabel ist sie so oder so – gleiches gilt für weitere Bestandteile der geplanten Abkommen. Beispiel Vorsorgeprinzip: Es ist ein Kernelement europäischer Politik, dass der Hinweis auf eine Gefahr für Mensch und Umwelt regulatives Handeln ermöglicht, auch wenn der letzte wissenschaftlich eindeutige Beweis für eine Gefährdung fehlt.

Die USA lehnen diesen Ansatz ab, im europäischen TTIP-Verhandlungsmandat kommt das Vorsorgeprinzip nicht vor, auch nicht im ausgehandelten Ceta-Vertrag. Eine vorbildliche Regelung wie die europäische Chemikalienverordnung REACH, nach der nur ausreichend auf ihre Risken hin überprüfte Chemikalien EU-weit zugelassen werden, wäre unter einem solchen Abkommen praktisch ausgeschlossen. Von alledem würden vor allem Konzerne profitieren, die weniger Regulierung (zum Schutz von Verbrauchern oder Umwelt!) zu befürchten hätten – und dort, wo noch reguliert wird, massiv an Einfluss gewännen, weil sich intransparente Exekutiv-Gremien leichter „bearbeiten“ lassen als öffentlich debattierende Parlamente.

Wichtige Stimmen in Wien

Garniert wird dieses Wunschmenü mit den Klagerechten für ausländische Investoren. Sehen sie ihre Gewinne durch staatliches Handeln in Gefahr, könnten sie die EU oder einen Mitgliedstaat wie Österreich auf Schadenersatz verklagen. Ob dies vor einem privaten Schiedsgericht (wie bei TTIP im Gespräch) oder einem öffentlichen Investitionsgerichtshof (wie bei Ceta vorgesehen) verhandelt wird, ist einerlei: Beide Einrichtungen sind nichts anderes als eine Paralleljustiz, die exklusiv Investoren aus Kanada und den USA offen steht und niemandem sonst.

Das alles zeigt, wie untauglich der Versuch ist, TTIP als das „böse“ und Ceta als das „gute“ Abkommen darzustellen, wie er derzeit in Deutschland oder Frankreich unternommen wird. Was TTIP so brandgefährlich macht, ist auch in Ceta angelegt.

Umso größer ist die Bedeutung Österreichs, wenn in diesem Herbst Ceta beschlossen werden soll. In Wien gibt es wichtige Stimmen, die die grundsätzliche demokratiepolitische Kritik richtigerweise auch auf Ceta beziehen. Wer unsere Demokratie nicht den Interessen von Konzernen unterwerfen will, muss ein solches Abkommen ablehnen. Denn sicher ist: Mit ein paar Protokollnotizen ist das Abkommen nicht zu retten. Es müsste neu verhandelt werden.

Gegen „vorläufige Anwendung“

Vor allem eines muss mit Hilfe der österreichischen Regierung jetzt verhindert werden: die sogenannte vorläufige Anwendung des Ceta-Vertrages. Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, so soll das Abkommen noch dieses Jahr „vorläufig“ in Kraft gesetzt werden – lange bevor die Parlamente in Österreich, Deutschland und den anderen EU-Staaten darüber abstimmen konnten.

Die Kommission weiß: Ein solcher Ratifizierungsprozess kann viele Jahre dauern. In dieser Zeit schafft Ceta Fakten, die nicht vorläufig, sondern endgültig sind. Noch können wir das verhindern. Österreich und Bundeskanzler Christian Kern spielen hierbei eine entscheidende Rolle.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2016)

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