Nordkorea: Höchste Zeit für neue Strategie

Die bisherige Politik gegenüber dem kommunistischen Staat hat nicht gefruchtet: Das Kim-Regime testet weiter Atombomben und Raketen. Man sollte es vielleicht einmal mit Rüstungskontrolle und positiven Anreizen versuchen.

Auch wenn es nach Nordkoreas viertem Nuklearwaffentest im Jänner dieses Jahres bereits augenscheinlich war – der neuerliche Atomtest am 9. September hat noch einmal verdeutlicht, dass die bisherige Politik gegenüber dem nordkoreanischen Nuklearwaffen- und Raketenprogramm grandios gescheitert ist.

Die von der US-Regierung unter Barack Obama forcierte Strategie der „strategischen Geduld“ setzt auf die Erwartung, dass das Regime von Kim Jong-un an seinen Pathologien scheitern und letztlich eine Wiederannäherung über die nukleare Abrüstung suchen wird. Flankierend zu dieser Strategie bemühten sich die Vereinigten Staaten um eine stufenweise Verschärfung der Sanktionen, zuletzt konnten sie auch die Volksrepublik China und Russland für eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats gewinnen.

Welche Alternativen?

Sowohl die Regierung in Peking wie jene in Moskau haben jedoch ein Interesse am Fortbestehen des Kim-Regimes in Pjöngjang, sie werden Sanktionen demnach nur bis zu einem gewissen Grad umsetzen. Auch der geplante Ausbau eines Raketenabwehrsystems in Südkorea wird nichts an der Entschlossenheit der Nordkoreaner ändern, er stößt aber in China auf wachsende Irritationen.

Was aber sind die Alternativen, wenn die Politik des Abwartens, Sanktionierens und Abwehrens ins Leere läuft? Eine militärische Intervention – egal ob umfassend als Regimewechsel oder begrenzt als Angriff gegen das nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm – ist aus mehreren Gründen keine gangbare Alternative.

Zunächst hat Nordkorea durch seine grenznahe Artillerie und Kommandooperationen die Fähigkeit, Südkorea im Fall eines Angriffs massiven Schaden zuzufügen. Auch würden sich Russland und vor allem China gegen eine militärische Intervention aussprechen, obwohl Moskau der Führung in Pjöngjang klargemacht hat, dass Drohungen mit einem nuklearen Präventivschlag eine Rechtsgrundlage für eine militärische Intervention darstellen würden.

Zu erwartende Flüchtlingsströme und vor allem eine Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre auf der koreanischen Halbinsel lassen Russland und China vor einem militärisch erzwungenen Regimewechsel in Pjöngjang zurückschrecken. Letztlich wäre der Erfolg einer begrenzten Militäroperation auch ungewiss.

Es ist anzunehmen, dass Nordkorea im Rahmen seiner Rüstungsanstrengungen auch versteckte Anlagen errichtet hat. Zudem wäre es eine Herausforderung, neben der technischen Infrastruktur auch die entsprechende Expertise zu neutralisieren.

Strategie des Engagements

Eine weitaus zielführendere Strategie wäre ein Engagement, das Schritte der Rüstungskontrolle mit positiven Anreizen kombinieren würde. Eine solche Strategie müsste zunächst mit der gegenwärtigen Prämisse der unmittelbaren und umfassenden Abrüstung Nordkoreas brechen. Die Prämisse einer neuen Strategie müsste vielmehr sein, dass auf Zeit lediglich das Ausmaß der nordkoreanischen Raketen- und Nuklearwaffenprogramme begrenzt werden kann.

Trotzdem müsste die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel als Fernziel erhalten bleiben und durch die Mitglieder der Sechs-Parteien-Gespräche bekräftigt werden, um eine De-facto-Anerkennung Nordkoreas als Nuklearwaffenstaat zu vermeiden. Für Nordkorea sollte diese Deklaration keine nennenswerte Hürde darstellen. Kim Jong-un hat zuletzt auf dem Parteikongress im vergangenen Mai erklärt, dass sein Land sich um globale Abrüstung bemühen werde.

Auf diese Bekräftigung des Fernziels müssten jedoch vertrauensbildende Maßnahmen folgen. Ein erster Schritt wäre hierbei eine Garantie Nordkoreas, auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen zu verzichten, oder diesen auf den Fall einer unmittelbaren, existenziellen Bedrohung einzugrenzen.

Martialische Rhetorik

Im Gegenzug müssten sich die Vereinigten Staaten (sowie China und Russland) verpflichten, weder Nuklearwaffen gegen Nordkorea einzusetzen noch deren Verwendung anzudrohen. Beide Maßnahmen sind realistisch.

Das Kim-Regime war in den vergangenen Monaten trotz seiner martialischen Rhetorik nach außen hin bemüht, das Bild eines verantwortungsvollen Nuklearwaffenstaats zu vermitteln. Eine entsprechende Garantie der Vereinigten Staaten war bereits im Agreed Framework des Jahres 1994 enthalten.

Ein umfassender Teststopp würde den nächsten Schritt der Rüstungskontrolle bilden. Dieser wäre jedoch erst möglich, wenn einerseits die nordkoreanische Führung zu der Einschätzung gelangt, dass ihre Waffentechnologien ausreichend glaubwürdige Abschreckung ermöglichen; andererseits müssten die Vereinigten Staaten positive Schritte wie eine Lockerung der Sanktionen und Hilfslieferungen setzen.

Erst wenn diese Maßnahmen getätigt sind und Bestand haben, wird man über weitere Schritte nachdenken können. Diese müssten zuerst Obergrenzen für das nordkoreanische Nuklearwaffen- und Raketenarsenal beinhalten und danach dessen schrittweise Reduktion. Ultimativ könnte diese Reduktion in eine nuklearwaffenfreie Zone in Nordostasien münden, wie sie unter anderem bereits vom Gründer des kommunistischen Nordkorea, Kim Il-Sung, gefordert worden war.

Bereitschaft zum Dialog

Ob eine solche Strategie des Engagements umgesetzt werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst bedürfte sie einer Abkehr der USA von ihrer Politik der strategischen Geduld und einer Bereitschaft zum Dialog ohne Vorbedingungen. Ob die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Präsident Obama zu einer solchen neuen Politik willens oder fähig ist, bleibt abzuwarten. Vor allem in der Frühphase benötigt Engagement gegenüber Nordkorea ebenfalls eine hohe Frustrationstoleranz.

Das Kim-Regime wird seine Tests fortführen, um seine Abschreckungsfähigkeit zu garantieren. Dadurch wird ein erheblicher Druck auf den gesamten Prozess des Engagements ausgeübt. Auch die Umsetzung von Rüstungskontrollmaßnahmen wäre mit großen Herausforderungen – vor allem im Bereich der Verifikation – verbunden.

Trotz allem erscheint gegenwärtig Engagement als die einzig wirklich zielführende Strategie, tatsächlich eine nachhaltige Verhaltensänderung Nordkoreas bewirken zu können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DIE AUTOREN



Martin Senn
ist assoziierter Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck und Lektor an
der Diplomatischen Akademie Wien.
Er forscht schwerpunktmäßig über nukleare Rüstung und strategische Rüstungskontrolle.

Gerhard Mangott ist Universitätsprofessor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck und Lektor an der Diplomatischen Akademie in Wien. Forschungsschwerpunkte sind Rüstungskontrolle, Energiesicherheit, Gewaltkonflikte und Russland. [ Fotos: Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2016)

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