Eine nervöse Welt und ein nervöser Staat

Eine zunehmend hysterische Politik und eine in konstante Unruhe versetzte Gesellschaft schaukeln sich gegenseitig auf. Sie sind gerade dabei zu verspielen, was sie durch Ablehnen, Ein- und Aussperren zu sichern vermeinen.

Die tektonischen Platten der Weltpolitik sind durch Wirtschaftskrisen und Flüchtlinge knirschend in Bewegung. Der demokratische Westen bekommt seine historischen und gegenwärtigen Egoismen um die Ohren geschlagen, und die vorwärtsstürmenden Populisten höhlen ihn von innen aus.

Österreich ist da keine Ausnahme – die Brandbeschleuniger sitzen aber seit vielen Jahren angststarr auf ihren Parlamentssitzen und verspielen die moderne, tolerante, geistig rege und vorwärtsdenkende Republik.

Hätten die jetzigen Gegner der Freihandelsabkommen und Öxit- Verdächtigten schon vor 25 Jahren das Sagen gehabt, würde Österreich noch den Schilling, die reale Neutralität, eigene Reisepässe und eine stramme, postdemokratische Regierung haben. Diese wäre kompetent, superehrlich, würde sich immer fragen, wo die „Leischtung ist“, und wäre besonders gut im Umgang mit der Verwaltung fremden Geldes und der Banken. Das blühende Österreich würde von aller Welt beneidet werden.

Vorboten des Angstwandels

Das Wirtschaftswachstum würde durch rechte Devotionalien, Trachten, Folklore bei Sonnwendfeiern und Heimatlieder angetrieben. Und natürlich durch prosperierende Banken und den fremden Verkehr. Keine Fremden, die nicht Geld dalassen und bald wieder gehen, könnten durch die engmaschigen Zäune rund um dieses blühende Gemeinwesen – oder wäre es doch eher ein gemeines Wesen – schlüpfen. Aus innerer Überzeugung wäre diese Regierung fair zu Minderheiten, fair zu den Briefwählern, fair zu körperlich Behinderten und klarerweise nicht einmal hinter vorgehaltener Hand gegen die jüdische Bevölkerung.

So wäre es, wenn – oder es kann wieder so werden, weil . . . wir bereits die Vorboten des Angstwandels sehen und hören.

Die nervöse Republik versetzt die Bürger in eine konstante Unruhe: Sie schafft es nicht mehr, Wahlen ordentlich abzuhalten. Sie ist strikt für Sparkurse und gibt doch mehr Geld aus, als sie einnimmt. Sie beschwört zunehmende Unsicherheit und Kriminalität, obwohl die Statistik beweist, dass wir ein sicheres Land sind. Sie investiert in lärmende und hyperaktive Repression, weil Prävention zu still ist und keine schrillen Töne der Politwerbung hergibt. Repression inszeniert sich mit Krawall, Polizei, Bundesherr und Zäunen und kann hervorragend als Stimmenfänger benutzt werden. Der Lärm rund um unsere Sicherheit nimmt konstant zu. Buchstäblich.

Wir sind in Warteschlangen an den Grenzen und in einen einzigen Blaulichttaifun mit Folgetonhorn eingebettet – die innerstädtischen Nächte klingen mittlerweile wie die wilden Tage der 1980er-Jahre in Manhattan. Tatütata. Wenn ein Betrunkener auf dem Land an einer Ortstafel rüttelt und durch die Nacht krakeelt, rückt die Cobra aus. Früher genügte der Dorfpolizist, der den verhaltensauffälligen Testosteronheini mit den Worten „Heast, Koal, mach kan Bledsinn, schlaf den Rausch aus, und dann kummst aufs Revier, des weast zohln“ locker in Schach hielt.

Gebräu mit brauner Färbung

Heute rufen empörte Headlines, verlogene Wahlplakate und eine zutiefst verunsicherte Bevölkerung eine Stimmung und Tendenz hervor, die als hysterisches, gewaltorientiertes Politklima über ehemals selbstgesteuerte Freiheit gestülpt wird. Es entsteht ein Gebräu, das gefährlich braune Färbung hat und übel schmeckt – aber als Medizin gegen „alles“ fast ohne Bedenken (siehe „denken“!) von einem wachsenden Teil der Bevölkerung geschluckt wird.

Im Irrglauben an strategische oder taktische Sinnhaftigkeit schürt die etablierte Politik Ängste und glaubt, mit lautem Getöse den Lärm von weiter rechts übertönen zu können. Genau das Gegenteil ist der Fall. Daraus entstandene Obergrenzen und Grenzzäune weisen nicht in die Zukunft, sondern steigern den Marktanteil der Populisten. Die rechte Szene wächst und die Aktionen der Politik rücken noch weiter von Gestaltung ab.

Die politische Kultur ist gesteuert und begleitet von hysterischen Headlines gegen alles. Information war gestern. Beispiele sind TTIP und Ceta. Es passt ins Bild, dagegen zu sein. Warum? Freihandel ist grauslich, und Globalisierung wird in einem derartigen mentalen Soziotop nur als Ausbeutung armer Länder durch die Konzerne definiert. Aber Vorsicht: Wir, die Bevölkerung, werden hier zum Komplizen einer Politik gemacht, die um ihre Macht fürchtet. Die mangelnde Kommunikation stellt sicher, dass die Bevölkerung ein derartiges Handelseinkommen nicht einordnen kann und sich daher fürchtet.

Inhalierte Medien

Im Wesentlichen spießt es sich mit den Schiedsgerichten, die Unternehmen (natürlich auch den bösen Konzernen) die Möglichkeit geben, das zu bekämpfen, was hierzulande kleinere Unternehmen oft in den Ruin treibt: Rückwirkende Auslegungsänderung von Gesetzen – mit verheerenden Folgen.

Stichwort Rechtsunsicherheit: Der Staat behält es sich vor, eigene Vereinbarungen und Gesetze einfach neu zu interpretieren, durch einander widersprechende Gesetze auszuhebeln und mit nicht gerade geringer Willkür in bestehende Rechtsgüter einzugreifen. Davon können Badeanstalten, Skischulen, Kleinunternehmer und Glücksspielkonzerne berichten. Diese unantastbare Zwangsgewalt wollen sich einige der europäischen Staaten nicht durch Schiedsgerichte ruinieren lassen.

Das ist der wahre Grund, warum regierungs- und parteigesteuerte oder von der Politik über Inseratenzuteilung vollkommen inhalierte Medien nicht dazu beitragen, die Menschen aufzuklären, sondern diese mit irgendwelchen TTIP- und Ceta-Chlorhendln in die Vergiftungspanik – und damit Ablehnung einer Handelsfreiheit – treiben.

Vernachlässigte Jugend

Die heranwachsende, gebildete Jugend mit ihrem transnationalen Weltbild und der trotz allem vorhandenen Hoffnung – die zukünftige Elite also – wird vernachlässigt und finanziell aushungert. Das Geld wird stattdessen in Abwehrmaßnahmen, in Polizei, in Bundesheer, in Gesellschaftszähmung, in Eingrenzung und Ausgrenzung investiert.

36 Milliarden Euro sind die Folgekosten der neuen Grenzziehungen. Für die Hälfte davon könnte Europa Ursachen bekämpfen und dem Libanon, der Türkei und Ägypten helfen, für Flüchtlinge menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Die andere Hälfte könnte in die Jugend und deren Visionen investiert werden. Eine geistig bewegliche und physisch bewegte Jugend wäre unser aller Umlaufvermögen.

Den Umgang mit den Freihandelsabkommen TTIP und Ceta sieht die denkende Jugend realistisch und entspannt. Aber eine zunehmend hysterische Politik und Gesellschaft, die einander aufschaukelnd auf Bestandssicherung aus sind und dieses Kapital nicht nützen, sind dabei zu verspielen, was sie durch Ablehnen, Ein- und Aussperren zu sichern vermeinen. Das ist nicht sehr ermutigend.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Dr. Hans Bachmann
(*1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexter, Coach, Berater und Lehrer. Unterrichtstätigkeit als Dozent an den Fachhochschulen Joanneum und Hagenberg. Themen: Kommunikation, Persönlichkeit, Kreativität. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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