Sind auf der falschen Seite - und haben es noch nicht bemerkt

Wie die Journalisten ihre Zeit und ihre Arbeit auf Facebook verschenken.

Das „Wirtschaftsblatt“ ist am Ende, die Verlagsgruppe News kündigt 80 bis 100 Mitarbeiter: Es scheint, dass es mit dem steigenden Bedarf an gutem Journalismus in Österreich immer schwieriger wird, ihn auch zu finanzieren. Und das könnte auch damit zu tun haben, dass wir Medienunternehmen und Journalisten zu viel Zeit und Arbeit auf Facebook verschenken. Das ist aus mehreren Gründen problematisch:

1. Facebook ist längst nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern betreibt mit dem Newsfeed ein Medium. Dabei ist unerheblich, ob Facebook für die Inhalte im Newsfeed zahlt oder nicht. Damit ist Facebook wohl der einzige direkte Konkurrent, dem andere Medienunternehmen ihre Arbeit und Reichweite schenken.

2. Facebook ist zugleich anderen Medien gegenüber bevorzugt: Es zahlt keine Werbeabgaben, keine Umsatzsteuer und muss die Inhalte des Newsfeeds nicht, wie andere Medien, vor Veröffentlichung prüfen – auch daher kommt das enorme Problem mit Hasspostings.

3. Werbeetats wachsen nicht ins Unendliche. Was zu Facebook und Google fließt, fehlt den österreichischen Medien an Einnahmen und somit bei der Finanzierung von Journalismus. Und je mehr gute Geschichten bequem auf Facebook verfügbar sind, umso weniger werden Leser dafür woanders zahlen.

Kurz: Indem wir fleißig Likes und Retweets sammeln, schaffen wir langsam den Journalismus ab.

Der ORF zwingt uns

Warum stellen wir dann trotzdem News-Videos aus der Puls4-Redaktion auf Facebook? Weil Facebook und der ORF uns dazu zwingen. Facebook will Menschen bei sich halten und bevorzugt direkt hochgeladene Videos gegenüber Links. Und da der ORF – der dank Gebühren mehr Bewegungsspielraum hat – darauf eingestiegen ist, müssen wir nachziehen und mit einem Teil unserer Arbeit Facebook statt unsere Redaktion finanzieren. (Paradoxerweise bevorzugt der ORF die US-Medienhäuser sogar – während wir etwa 1000 Euro pro Minute zahlen, zahlt Facebook nichts.) Und so führt ein nobles Ansinnen des ORF – überall zu informieren – vielleicht bald einmal zu weniger Journalismus.

Verschenkter Journalismus

Und auch wir Journalistinnen und Journalisten stärken Reichweite und Einnahmen der US-Giganten durch unsere. Markus Breitenecker, Chef von Puls4, kritisierte auf den Medientagen, dass Armin Wolf seinen hochwertigen, gebührenfinanzierten Journalismus auf Twitter verschenke.

Das war Provokation, klar – aber es wirft ernste Fragen auf: Wem nützen wir mit unseren Accounts – unseren Verlagen und Sendern oder eher Twitter und Facebook? Und wem gehören die Accounts von Journalisten – den Verlagen oder ihnen privat? Während die meisten „privaten“ Blogs, auf denen Journalisten ihre Texte veröffentlichten, verschwunden sind, ist die Situation in den sozialen Medien oft ungeklärt.

Der Grat zwischen der notwendigen Präsenz in den sozialen Medien und der Kannibalisierung des eigenen Journalismus ist schmal. Aber mir scheint, dass wir uns auf der falschen Seite befinden und es noch gar nicht bemerkt haben. Wir sollten anfangen, nicht hintennach auf der Welle zu reiten, die aus Silicon Valley herüberschwappt, sondern den Wandel selbst zu steuern – und zwar so, dass am Ende mehr (europäischer) Qualitätsjournalismus übrig bleibt, nicht weniger.

Das brauchen wir für das Funktionieren unserer Demokratie und unserer Wirtschaft. Wenn niemand mehr professionell informiert, überprüft und nachfragt, geht dieses Land nämlich schneller den Bach runter, als man denkt.

Corinna Milborn (geboren 1974 in Innsbruck)

ist Direktorin in der Informationsabteilung

des Privatsenders Puls4.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2016)

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