Madrid verschließt die Tür für jeglichen Dialog

Die Regierung in Barcelona strebt im Einklang mit dem Mandat der Wähler die Unabhängigkeit an. Die Bürger und Bürgerinnen sollen entscheiden, ob Katalonien eine eigene Republik wird. Doch bisher antwortet Spanien mit Drohungen.

Eine bedeutende Anzahl von Katalanen ist zu dem Entschluss gekommen, dass wir zur Stärkung unseres Wohlfahrtsstaates, zur Erhaltung des sozialen Zusammenhalts und zum Schutz unserer kulturellen Vielfalt ein eigenes Land benötigen, da diese bürgerlichen und demokratischen Ziele im heutigen spanischen Staat nicht zu erreichen sind.

Bei den jüngsten katalanischen Wahlen haben die Pro-Unabhängigkeitsparteien, die ein breites ideologisches Spektrum abdecken – rechtsextreme Parteien ausgenommen – eine absolute Mehrheit im Parlament in Barcelona erlangt. Hinzu kommt, dass fast zwei Drittel der Abgeordneten die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendum befürworten.

Seit Aznar im Rückwärtsgang

Ungeachtet dessen ist unsere Forderung nach einem Referendum, wie es in Quebec und in Schottland abgehalten wurde, auf die totale Ablehnung der spanischen Regierung gestoßen. Madrid weigert sich auch, in jegliche Art eines Dialog oder in Verhandlungen einzutreten, was zusätzlich noch von einer gerichtlichen Verfolgung unserer Unabhängigkeitsbefürworter begleitet wird.

Warum kommt ein breiter Teil der katalanischen Gesellschaft zu dem Schluss, dass wir ein eigenes Land brauchen? Die Mehrheit der katalanischen Parteien hat lang versucht, Reformen in Spanien durchzusetzen. Sie hat seit dem Ende der Franco-Diktatur auch alle Bemühungen Spaniens in Richtung einer Demokratisierung und Modernisierung unterstützt.

Dieser Weg zu Reformen hat bedeutende Fortschritte ermöglicht. Aber dann leitete die ultra-konservative Regierung von José María Aznar eine Rezentralisierungs- und Rückbildungskampagne ein, die auch während der sozialdemokratischen Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero nicht beendet wurde und die unter der Ministerpräsidentschaft von Mariano Rajoy zunehmend an Stärke gewonnen hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass unser Grundgesetz, das Autonomiestatut Kataloniens, 2006 von einer großen Mehrheit der Katalanen per Abstimmung angenommen, aber später dennoch vom spanischen Parlament erheblich eingeschränkt wurde – bis dann schließlich 2010 wesentliche Teile auf Anordnung der Volkspartei (PP) vom Verfassungsgericht aufgehoben wurden. Es ist dabei noch anzumerken, dass das spanische Höchstgericht extrem politisiert ist und von einem früheren Mitglied der Volkspartei geleitet wird. Dass sich die Qualität der spanischen Demokratie zunehmend verschlechtert, zeigt sich in der ständigen Anwendung von staatlichen Instrumenten gegen Katalonien.

Ein offenes, ein tolerantes Land

Letztlich aber haben die Drohungen und die strafrechtliche Verfolgung katalanischer Politiker dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen nicht mehr an die Möglichkeit von Reformen in Spanien glauben. Sie haben sich stattdessen dafür entschieden, demokratisch und friedlich den Weg in Richtung Unabhängigkeit zu beschreiten.

Der Aufruf zur Unabhängigkeit steht in keinem Fall für ethnisch orientierten Nationalismus oder irgendeine Ausgrenzung, wie der spanische Außenminister José Manuel Garcia-Margallo in seinem Gastkommentar behauptet (19. 10). Katalonien ist ein offenes und tolerantes Land, das seit Langem Neuankömmlinge aus verschiedenen Kulturen aufnimmt. Im 20. und 21. Jahrhundert kommt ein Großteil der Bevölkerung Kataloniens von außerhalb, sei es aus anderen Regionen Spaniens oder aus anderen Ländern.

So hat Katalonien ein integratives Aufnahmemodell mit einer pluralistischen und flexiblen Identität geschaffen, in der Sprache und Kultur hoch geschätzt werden und in der viel Wert auf die Bewahrung des sozialen Zusammenhalts gelegt wird. Die Unabhängigkeitsbewegung ist infolgedessen kein Versuch, der Solidarität zugunsten anderer Teile Spaniens oder Europas auszuweichen.

Ein Nettozahler

Mit einer Wirtschaft, die eine starke industrielle Basis hat, ist Katalonien schon immer ein Nettozahler für den spanischen Haushalt und die EU gewesen. Das versuchen wir nicht zu stoppen – im Gegenteil: Es ist unser Bestreben, die bis jetzt ineffiziente Verwaltung unserer finanziellen Mittel durch unser eigenes Handeln zu verbessern und sie so strukturell nutzbarer für jedermann zu machen.

Die Unabhängigkeitsbewegung ist absolut demokratisch, friedlich und zivilgesellschaftlich geprägt. Trotz alledem antwortet die spanische Regierung darauf, dass sie die Tür für jeglichen Dialog verschlossen hält. Sie behauptet, das Ziel der Unabhängigkeit sei nicht legitim, ja sogar undurchführbar. Sie wirft uns immer wieder vor, unser Vorgehen sei illegal und sie droht bei jedem unserer Schritte in Richtung Unabhängigkeit sogleich mit der strafrechtlichen Verfolgung.

Es heißt, die Einheit Spaniens sei heilig – und daher unantastbar für die Bürger und ihre Wünsche. Deshalb könnte nichts unternommen werden und es sei auch nicht möglich, die Bevölkerung nach ihrem Willen zu befragen.

Wenn es eine so umfassende und breit gefächerte Bewegung in einem Land gibt, wie es bei der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung der Fall ist, sollte das Mindeste sein, dass die Regierung auf die Stimmen der Bürger hört und ein Dialog zustande kommt. Dies ist bisher nicht passiert. Die katalanische Regierung strebt im Einklang mit dem demokratischen Mandat der Wähler die Unabhängigkeit an, und möchte, dass es unsere Bürger und Bürgerinnen sind, die entscheiden, ob Katalonien eine eigene Republik werden soll. Da eine Mehrheit im Parlament zum Schluss gekommen ist, dass dies mithilfe eines Referendums erfolgen soll, werden wir entsprechend handeln.

Ein demokratischer Vorschlag

Deswegen fordern wir die spanische Regierung auf, mit uns über diese Entscheidung in Verhandlungen einzutreten: über das Datum des Referendums, über die Fragestellung, die demokratischen Garantien für die Abstimmung und die notwendige Mehrheit für die Gültigkeit der Abstimmung.

Es ist schwer zu verstehen, dass die Anwendung demokratischer Mittel, die es den Bürgern erlauben, über ihre Zukunft zu entscheiden, ein Verbrechen sein soll. Und dies, obwohl der höchste Ausdruck demokratischer Moral darin besteht, den Bürgern nicht ihre Stimme zu verweigern, sie nicht daran zu hindern, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Meinung nicht von vornherein als irrelevant zu betrachten.

Unser Wunsch ist gerecht und friedlich. Und trotz der Weigerung der spanischen Regierung, uns zu verstehen, haben wir angesichts ihrer Ablehnung, ihrer Unnachgiebigkeit und des Mangels an Alternativen einen demokratischen Vorschlag: die Wahlurnen aufzustellen und das Ergebnis anzunehmen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Raül Romeva i Rueda
(* 1971) studierte Wirtschaftswissenschaften und promovierte im Fachbereich internationale Beziehungen. Er arbeitete im Centre UNESCO de Catalunya, bei Oxfam Intermon und im Friedenskulturinstitut der Universitat Autònoma de Barcelona, wo er von 1994 bis 2002 Professor für internationale Beziehungen war. Seit Jänner 2016 ist er der Minister für Auswärtiges, Institutionelle Beziehungen und Transparenz der Regierung Kataloniens. [ Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2016)

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