Titel und die fragwürdigen Mittel der Akademisierung

Die Aufwertung des Ingenieurtitels dient im Grunde niemandem.

Österreich hat ein duales Ausbildungssystem, das sowohl in Lehrberufen als auch in berufsbildenden höheren Schulen zur Anwendung kommt. Vor allem die Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) sind ein Modell, das in Europa durch die Verschränkung von theoretischer und praktischer Ausbildung seinesgleichen sucht.

Österreich leidet aber auch wie kein anderes europäisches Land unter einer übermäßigen Ehrfurcht vor Titeln. Rund 2043 Amts-, Berufs- und akademische Titel zählt Heinz Kasparovsky in seinem Buch „Titel in Österreich“ auf. Was geschieht aber, wenn der berechtigte Stolz auf die duale Ausbildung mit dieser seltsam antiquierten Verehrung für Titel zusammentrifft? Unter anderem kommt das heraus, was jüngst im Parlament als Aufwertung des Ingenieurtitels beschlossen wurde.

Warum muss man einen Titel überhaupt aufwerten? Durch die Aufwertung soll Transparenz über den Wert von Qualifikationen geschaffen werden und Chancengleichheit, um sich auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu behaupten. So weit, so gut. Aber wie wird das in der österreichischen Praxis gelebt, und was bedeutet die Aufwertung konkret für den Titel Ingenieur? Nichts anderes, als dass die HTL-Ausbildung plus eine dreijährige Berufspraxis dem Abschluss eines dreijährigen Universitätsstudiums, also dem universitären Bachelor gleichgestellt wird.

45-minütiges Fachgespräch

Zur Erinnerung: Um diesen universitären Bachelorabschluss zu erreichen, durchlaufen Studierende an der Universität ein dreijähriges wissenschaftliches Vollzeitstudium, absolvieren Prüfungen und verfassen eine Bachelorarbeit. Geprüft und unterrichtet wird von Lehrenden, die über ein Doktorat oder als höchste Qualifikation über eine Professur verfügen. Sie alle haben also ein hoch kompetitives internationales Qualifikations- und Auswahlverfahren durchlaufen. Eigentlich selbstverständlich, aber erwähnenswert aus folgendem Grund: Um den Nachweis zu erbringen, dass genau die gleichwertigen Kompetenzen wie in einem Studium an einer technischen Universität erworben wurden, genügt es für einen Ingenieur nach dem neuen Gesetz, eine selbst verfasste Tätigkeitsbeschreibung abzuliefern und ein Fachgespräch zu führen, das maximal 45 Minuten dauert.

Wem dienen Aufwertungen?

Für den Prüfer in diesem Fachgespräch genügt als Qualifikation, dass er selbst Ingenieur ist. Es beurteilen also Personen die Gleichwertigkeit mit einem Universitätsstudium, die ein solches gar nicht absolviert haben.

Den Befürwortern dieser Aufwertung schwebt eine noch weitreichendere Aufwertung berufsbildender Abschlüsse vor: Der Lehrabschluss soll auf derselben Stufe mit der AHS-Matura stehen, die Meisterprüfung dem Bachelorabschluss und der Baumeister dem Abschluss eines fünfjährigen Universitätsstudiums gleichgestellt werden.

Wem durch diese Aufwertungen gedient sein soll, außer falsch verstandenen Standesinteressen, bleibt ein Rätsel. Der Wert einer Berufsausbildung liegt ja gerade in Ihrer Andersartigkeit im Vergleich mit einem universitären Studium.

Diese beiden (Aus-)Bildungsformen sollen weder in Wettbewerb zueinander treten noch gegeneinander ausgespielt werden. Die Wertschätzung für die Berufsausbildung wird nicht zu steigern sein, wenn sie mit fragwürdigen Mitteln, wie sie das Ingenieursgesetz vorsieht, äußerlich „akademisiert“ wird.

Mit dem Austriazismus des ständigen Schielens nach einer Aufwertung von Titeln steht sich Österreich selbst im Weg.

Mag. Elisabeth Fiorioli (geboren 1967 in Graz) ist Generalsekretärin der Österreichischen Universitätenkonferenz.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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