Die US-Wahl als Tabubruch

Wer gewinnt: eine Frau, die die globale, finanzbasierte Machtelite repräsentiert? Oder ein Macho, Sexist und Fremdenhasser?

Donald Trump und Hillary Clinton sind wie zwei Wanderprediger: Gibt man ihnen genug Spenden, werden sie für dich beten; wo dieses Geld herkommt, ist sekundär.

Der Cocktail aus Nepotismus, Insidergeschäften und der gesellige Umgang mit den brutalsten Vertretern der Wall Street macht Hillary Clinton zur Quintessenz der Perversion der Ideale der Demokraten. Clinton, die die progressive Partei der Arbeiterschaft vertreten soll, erhält von Finanzinstitutionen pro Rede 600.000 Dollar. Sie vertritt also eher die Partei von Goldman Sachs. In der amerikanischen und britischen Presse ist die Rede vom „königlichen Establishment“, das sich alles erlauben könne.

Auf der anderen Seiten haben wir Donald Trump: einen Populisten, Macho, Sexisten, Fremdenhasser – und für viele Amerikaner die Lösung aller Probleme. Er ist ein parteiloser Baumeister, der jetzt als Republikaner agiert. Trump hat zweifelsohne die Grenzen des politischen Diskurses gesprengt. Es gibt für ihn kein Tabu. Er ist ein Mann, der keinen Austausch von Ideen benötigt, denn er glaubt, genug Information zu haben, um alle Entscheidungen treffen zu können. Wer da ein Leuchtfeuer der Aufklärung erwartet, tut dies vergebens. So fliegt Trump nun allein in seinem Jet von Stadt zu Stadt, predigt, verspricht und verführt das Publikum. Und wenn ihm spontan etwas einfällt, postet er ein Tweet.

Wunsch nach Veränderung

Der Wunsch der Menschen nach Veränderung wächst im Takt mit der Erosion des Glaubens an die existierende Demokratie. Seit über zehn Jahren wird den US-Bürgern erzählt, dass sie auf dem Pfad der wirtschaftlichen Genesung seien. Die Erfolge von Silicon Valley und einzelner Unternehmer bilden jedoch den Zustand der US-Wirtschaft nicht wirklichkeitsgetreu ab.

Wendet man den Blick von den glamourösen Küstenregionen und den Metropolen hin zum ländlichen Ohio oder in eine Kleinstadt in Indiana, sieht die Realität der Menschen völlig anders aus. Etwa 70 Prozent aller Amerikaner haben keine 400 Dollar auf der hohen Kante, falls unerwartete Ausgaben anfallen. Die durchschnittliche Lebenserwartung und Lebensqualität ist im Sinkflug. Trailerparks sind für viele keine Alternative mehr, sondern die einzige noch erschwingliche Wohnform. Das Dilemma, in dem viele US-Bürger stecken, benötigt einen Ansatz, der auch ihrer Sehnsucht, angehört zu werden, entgegenkommt.

Die Diskussion über kleinere Übel ist nicht nur langweilig, sondern auch irrelevant. Es ist nebensächlich, was Trump erzählt, er hat bereits eine gigantische Bewegung ins Leben gerufen. Die Massen, zu deren Sprecher er nun geworden ist, haben enorme Erwartungen. Die Frage ist: Was passiert, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden oder Trump nicht Präsident wird? Wer füttert den Mob, wenn er nicht mehr da ist?

Zur heutigen Wahl in den USA steht also eine Frau, die die globale, finanzbasierte Machtelite repräsentiert, oder Donald Trump. Das dortige populistische Lauffeuer aber kann sich jederzeit drehen und uns alle verbrennen.

Die Demokratie, die die US-Bürger erwartet, sieht vielleicht so aus: Drei Wölfe und ein Schaf treffen sich in der Prärie. Gemeinsam sollen sie entscheiden, was es zum Mittagessen gibt...

Andreas Mytteis (* 1974 in Graz) ist ausgebildeter Projektleiter und Marketingspezialist. Er lebt seit 1998 in Oslo, Norwegen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)

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