Die befremdlichen Vorwürfe des Topbankers Treichl

Ist die Finanzbildung an den Schulen „katastrophal“? Einige klärende Worte.

Ende Oktober wurde am Erste Bank Campus in Wien das neue Finanzbildungsinstitut (FLIP) eröffnet. Laut Andreas Treichl, dem Chef der Erste-Group, soll dieser Financial Life Park Kindern und Jugendlichen die Finanzwirtschaft näherbringen. So weit ein Anlass für die Vertreterinnen und Vertreter des Unterrichtsfaches Geografie und Wirtschaftskunde (GW), diese Initiative in ihrem Bereich zu begrüßen.

Neu und für Lehrer und Lehrerbildner im Unterrichtsfach GW sehr befremdlich ist jedoch die Geringschätzung, wenn nicht sogar Verachtung, die dem Trägerfach der sozioökonomischen Bildung in der Neuen Mittelschule und in den AHS durch Herrn Treichl öffentlich entgegengebracht wurde. Laut „Presse“ vom 29. Oktober erklärte der Topbanker, dass „die Finanzbildung an österreichischen Schulen eine Katastrophe“ sei; Geografie- und Wirtschaftskunde bezeichnete er als „Beleidigung für das Finanzwesen“.

Dass Treichl kein Freund differenzierter Argumentation ist, ist nicht neu. So bezeichnete er im Mai 2011 Österreichs Politiker als „zu blöd, zu feig und zu unverständig“, weil sie von der Wirtschaft keine Ahnung hätten. Wenige Tage später entschuldigte er sich für die verbale Entgleisung.

Pauschale Vorwürfe

Wenn ein für markige Sager bekannter Banker im Beisein des Finanzministers pauschale Vorwürfe gegen alle Vertreter eines Schulfaches macht, muss er sich ein paar Fragen stellen lassen. Weiß Treichl nicht, dass Themen der Wirtschafts- und Verbraucherbildung prinzipiell multiperspektivisch und der politischen Bildung verpflichtet zu behandeln sind? Das Unterrichtsfach Geografie und Wirtschaftskunde, in dessen Zentrum der räumlich und wirtschaftlich handelnde Mensch steht, bietet dafür in den Lehrplänen viele Ankerpunkte. Es wurde daher vom Bildungsministerium auch als eines der drei Trägerfächer für Wirtschaftserziehung und Verbraucherbildung genannt.

Aufgrund welcher empirischen Befunde will Treichl ableiten, dass GW-Lehrer bei der Vermittlung der Thematik versagen? Sollte er damit auf fehlendes Finanzwissen verweisen, wie es in verkürzenden Befragungen fallweise konstatiert wird? In diesem Fall muss man feststellen, dass die Professionalität der Schüler in Bezug auf Finanzbildung nicht primär bei der reproduktiven Gedächtnisleistung liegt.

Ökonomische Intelligenz

Horst Knapp, Namensgeber eines begehrten Preises für Wirtschaftsjournalisten, sprach vom Erwerb ökonomischer Intelligenz und nicht von nationalökonomischem Fachwissen, wenn er die Schärfung ökonomischer Urteilskraft von der Schule forderte. Dieser lebensweltliche Zugang ist oberstes Prinzip der sozioökonomischen Bildung im Fach GW. Professor Knapp imponierte daher auch die Fachkenntnis von Aktienbesitzern beim Interpretieren von Börsenkursen nicht; wie wir nach acht Jahren Finanzkrise wissen, völlig zu Recht.

Wenn Fachkenntnisse einen so wichtigen Stellenwert bei ökonomischen Prozessen hätten, wären die Ereignisse der letzten Jahre unerklärlich. Wir müssten daraus ein absolutes Versagen der klassischen wirtschaftlichen Ausbildung an Wirtschaftsuniversitäten und vor allem der Banker und Bankerinnen ableiten. Dies wäre ein vergleichbarer gedanklicher Kurzschluss, wie den Vertretern des Faches GW jegliche ökonomische Kompetenz abzusprechen. Für die Finanzbildung von Schülern wäre es zielführender, wenn sich schulische und außerschulische Bildung sinnvoll ergänzten und medial ausgerichtete Untergriffe unterblieben.

Christiane Hintermann studierte Geografie in Wien und ist Leiterin der Arbeitsgruppe Fachdidaktik Geografie und wirtschaftliche Bildung am Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)

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