Trumps Triumph und die Verantwortung der Medien

Trump profitierte von der grassierenden Medienverdrossenheit und der neuen Macht der Selbstbestätigungsmilieus.

Nun also wird Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten. Und dies scheint, nach dem ersten Schock und dem Entsetzen, das die Medien durchzuckt, der Moment, nach Ursachen seines Wahlsiegs zu fragen. Wie kann es sein, dass jemand, der so offenkundig lügt und betrügt, der Behinderte verspottet und seinen Sexismus offen auslebt, tatsächlich gewählt wird?

Wie ist es ihm gelungen, skandalöse Enthüllungen über seine Person und seine Geschäfte in einem Strudel fortwährender Erregung und einem Stakkato des Immer-Neuen vergessen zu machen und seine gewiss nicht perfekte, aber im Vergleich über alle Maßen politisch versierte Konkurrentin Hillary Clinton in eine Symbolfigur der Korruptheit zu verwandeln?

Wer so fragt, muss sich von der Idee der einen Ursache, die in einer linearen, berechenbaren Schrittfolge die eine, spezielle Wirkung erzeugt, verabschieden. Es braucht den systemischen Blick, die Betrachtung eines Wirkungsnetzes. Denn Donald Trump ist der Profiteur einer radikal veränderten Medienwelt.

Der Meister der Metabotschaft

Trumps Erfolg ist das Symptom eines verstörenden Ineinandergreifens von aktueller Medienentwicklung und aggressivem Populismus. Zum einen zeigt sich an seinem Aufstieg, dass der klassische Journalismus schwächer wird und an Deutungsautorität verliert. Die Grenzen des Sagbaren werden nicht mehr von den etablierten Massenmedien oder den Protagonisten einer bürgerlichen, traditionell gemäßigten Öffentlichkeit bestimmt, deren Kritik wirkungslos verpufft ist.

Zum anderen hat die erste Garde des amerikanischen Enthüllungsjournalismus den betrügerisch und verlogen agierenden Trump viel zu lang ignoriert und zu einem Mann verniedlicht, dessen natürliches Habitat das Reality-Fernsehen und die Glitzerwelt des Showbusiness darstellt.

Man hat ihn nicht wirklich ernst genommen, womöglich im Wunschdenken und der eigenen Filterblase verhaftet, frei nach dem Motto: „Er kann doch gar nicht gewinnen!“ Und als sich Schritt für Schritt die Kräfteverhältnisse änderten, war er längst zu einer Diskursmacht eigenen Typs aufgestiegen, gestützt von 13 Millionen Twitter-Followern, aufgepeitschten Bloggern, Radio-Talkmastern und einer Schar von Anhängern, die seiner beständig wiederholten Metabotschaft glaubten: Mit mir wird alles anders, besser, großartiger!

Wenn ihn, diesen Meister der Metabotschaft und der egozentrischen Beschwörung eines Epochenbruchs, einzelne Veröffentlichungen dann doch einmal irritierten, hat er sie als das manipulative Werk verlogener Journalisten abgetan oder aber sich (wie im Fall des sexistischen Videos) zunächst knapp entschuldigt, um dann seine Äußerungen als Umkleide-Kabinen-Gerede von Männern zu bagatellisieren.

Offensichtlich ist: Trump hat von einer grassierenden Medienverdrossenheit und der neuen Macht der Selbstbestätigungsmilieus profitiert, in denen sich Gleichgesinnte in ihrer Wut über das Establishment und auch in ihrer Verzweiflung über die erlebte Beschädigung und Chancenlosigkeit der eigenen Existenz wechselseitig bestärken.

Es ist dieses Klima des Verdachts und der Skepsis gegenüber den Medien, das es ihm erlaubt hat, tatsächlich Skandalöses einfach zu ignorieren oder aber Berichte pauschal als voreingenommen zu attackieren und die ihn heftig kritisierenden Qualitätsblätter mit den immer gleichen, hämmernden Twitter-Sätzen zu verspotten.

Eine bizarre Symbiose

Hinzu kommt, dass der prominente Unternehmer und das Fernsehen massiv voneinander profitiert haben – gleichsam vom ersten Moment seiner Kandidatur an. Es war und ist eine bizarre Symbiose, die sich hier offenbart hat: Der Pöbler bekam seine Plattform, der Populist das Geschenk der permanenten Berichterstattung.

Warum? Die Antwort lautet: Das Fernsehen hat ihn, beglückt von sprudelnden Werbeerlösen und gigantischen Einschaltquoten, die sich, wenn der Mann auf Sendung ging, um bis zu 170 Prozent steigern ließen, in Gestalt von Dauersendungen gefeiert; es hat seine Aggressionen stets unmittelbar durch Aufmerksamkeit belohnt und ihm die Gelegenheit gegeben, diesen Wahlkampf zu bestimmen.

Der CEO des Fernsehnetzwerks CBS, Leslie Moonves ist sein Name, hat diese verstörende Haltung in einem Interview auf die Formel gebracht, Trump sei womöglich nicht gut für Amerika, aber „verdammt gut für CBS“.

Zu einem systemischen Bild gehört auch, dass ihm eine ohnehin entpolitisierte Berichterstattung dabei geholfen hat, überhaupt zu bestehen. Sie hat ihm erlaubt, fehlende Sachkompetenz durch unterhaltende Soundbites zu überspielen und der inhaltlichen Debatte auszuweichen.

Es ging nicht um Inhalte

Es ging – auch in vielen Qualitätsmedien – in diesem Wahlkampf nicht primär um politische Konzepte, Eckpunkte der Weltanschauung und Ideologie, sondern um Fragen der persönlich-privaten Integrität, nicht um Inhalte, sondern um Charakterdeutungen und die Fernanalyse der Kandidaten im Inszenierungsgeschäft ihrer Auftritte.

Wirkt Clinton verlogen und karrieristisch? Lächelt sie zu wenig? Formuliert sie bei öffentlichen Debatten zu sachlich und zu steif? Und ist Trump allzu leicht reizbar? Muss man sich vor ihm fürchten, weil er auch nachts um drei auf Twitter ausrastet, um eine ehemalige Schönheitskönigin verbal in den Staub zu treten?

Das waren Fragen, um die es ging. Die Rolle der Nato, die ökonomischen Folgekosten eines neuen Isolationismus, die faktischen Hürden beim großsprecherisch angekündigten Mauerbau an der Grenze zu Mexiko oder bei der schlichten Abschaffung des Gesundheitsprogramms Obamacare, die grausame Realität einer Deportation von Millionen illegaler Einwanderer – all diese Themen blieben im Verhältnis zu ihrer Relevanz seltsam diffus und eigentümlich unterbelichtet. Die Charakterdeutung aus der Ferne, diese Form der schmutzigen Psychologie, hat hingegen eine Gleichwertigkeit der Kandidaten suggeriert, die es so nie gegeben hat.

Orientierung an Privatheit

Gewiss, Hillary Clinton hat Fehler gemacht. Gewiss, ihr Umgang mit E-Mails war unvorsichtig und so manche Äußerung instinktlos. Nur: Sie hat im Gegensatz zum Wahlsieger politische Erfahrung, Sachkenntnis, diplomatisches Geschick, ein umfassendes, jenseits der Slogans und der bloß rhetorischen Selbstermächtigung angesiedeltes Programm.

Das heißt: Erst die Entpolitisierung der Berichterstattung, die Orientierung an Privatheit, Persönlichkeitsanalyse und Psychologie hat es einem Politneuling wie Donald Trump überhaupt ermöglicht, zu bestehen und sich schließlich durchzusetzen. Es ist kein Politiker, es ist ein Spezialist für einfache Symbolkommunikation und die Medieneffekte der neuen Zeit, der in der Nacht zum Mittwoch gesiegt hat. Nun also wird er Präsident.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Bernhard Pörksen

(*1969 in Freiburg im Breisgau) studierte Germanistik, Journalistik und Biologie. Er ist
Professor für Medienwissenschaft an
der Universität Tübingen. Zuletzt veröffentlichte er sein gemeinsam mit Friedemann Schulz von Thun verfasstes Buch „Kommunikation als Lebenskunst“ im Carl-Auer-Verlag, Heidelberg. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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