ORF ist verpflichtet, seinem Kulturauftrag nachzukommen!

Ein Spar- und Nivellierungspaket bedroht den Paraderundfunksender Ö1.

Einer der besten Sender der Welt – jedenfalls propagiert ihn seine Anstalt als solchen – steht offensichtlich wieder einmal vor seiner Teilzerstörung. Und ich fühle mich, wenn mir diese Nachricht zum x-ten Mal zu Ohren kommt, immer von Neuem wie die Figur auf Edvard Munchs Werk „Der Schrei“. Rufen könnte ich beispielsweise: „Es reicht! Aus! Ende! Schluss! Lasst Ö1 endlich in Ruhe und finanziell angemessen ausgestattet arbeiten!“ Das heißt, ich könnte schreien statt schreiben.

Worum geht es? Ö1 soll reformiert werden. Auf gut Deutsch: Es soll gespart werden. Noch dazu wird der Sender aus dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße davongejagt. Kurz vor seiner Wiederwahl gab ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ein Versprechen ab, als er meinte: „Ö1 soll in jedem Fall gestärkt werden“ (APA, 13. Juli 2016).

Mir fehlt das Know-how, wie man jemanden oder etwas stärkt, indem man ihn oder es finanziell schwächt. Der Ö1-Chef soll nämlich 750.000 Euro im Jahr einsparen. Falls mir der ORF-Chef dieses Kunststück nachvollziehbar erklären kann, beantrage ich im Vatikan seine Heiligsprechung für ein Wunder zu Lebzeiten.

Abschleifen von Kanten

Ersatzlos eingespart werden sollen, um kein anderes Wort zu gebrauchen, das „Café Sonntag“, das „Nachtquartier“ und „Von Tag zu Tag“. Beim letzten Format muss ich einhaken und nachfragen, ob etwa die eingeladenen Gäste dem nicht selten streichelweichen ORF vielleicht zu freimütig und kritisch waren?

Damit nicht genug, auch die Textesendung „Beispiele – Neue Literatur aus Österreich“ soll etwas Unbekanntem weichen. Das „Kunstradio“ und „Hörspielstudio“ sollen zusammengelegt und gleichsam halbiert werden. Das ist bei Weitem noch nicht alles, dies sind nur einige wenige Beispiele. Ich bin überzeugt, dass dieses Nivellierungs- und Sparpaket nur einen einzigen Zweck hat: Es sollen sinnvollen und kritischen Programmen so lang die Ecken und Kanten abgeschliffen werden, bis einer der besten Sender der Welt synthetisch und pflegeleicht ist.

Ganztägige Berieselung?

Wie auch immer: Der ORF ist als öffentlich-rechtlicher Sender gesetzlich verpflichtet, seinem Kulturauftrag nachzukommen. Literatur und Kunst gehören, was auch die ORF-Führung weiß, in den Kulturbereich. Es darf nicht der Plan von Programmanpassungen sein, Kunst- und Wortsendungen gänzlich abzuschaffen, um der ganztägigen Berieselung durch Musik, und sei sie noch so klassisch oder hochstehend, Raum zu geben.

Darüber hinaus sind die Literatursendungen einerseits eine Einkunftsquelle für Autorinnen und Autoren, die für gewöhnlich mit diesen Mitteln ohnehin nicht gesegnet sind, andererseits werden, insbesondere in der „Beispiele“-Sendung am Freitagvormittag literarische Neuerscheinungen in geeigneter Weise popularisiert.

Der Kulturauftrag, den Ö1 hat, ist zu stärken oder zumindest auf seinem derzeitigen Niveau zu belassen, damit der international renommierte Sender nicht zu einem billigen und unkritischen Beliebigkeitsprogramm verkommt. Als solcher würde er mit Sicherheit Massen seiner jetzigen Hörerinnen und Hörer verlieren.

Letztlich möchte ich nicht verhehlen, dass ich seit Jahrzehnten regelmäßig meine Rundfunkbeiträge bezahle und daher selbstverständlich das Recht habe – so wie alle anderen Beitragszahler –, auch zu fordern, dass der ORF seine gesetzlichen Kulturverpflichtungen einhält.

Janko Ferk ist Jurist, Schriftsteller und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/ Univerza v Celovcu. Zuletzt erschien seine Essaysammlung „Bauer Bernhard, Beamter Kafka. Dichter und ihre Zivilberufe“ im Styria Verlag, Wien/Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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