Malaise ohne Ende in der Republik Moldau

Die EU hat sich in Moldau blenden lassen und lange Zeit auf unzuverlässige politische Akteure gesetzt. Das schadet ihr nun, weil auch die angeblich prowestlichen Politiker in Chişinau tief im Korruptionssumpf stecken.

Auch wenn die kleine Republik Moldau nicht wirklich im Scheinwerferlicht der europäischen Politik zu stehen scheint, ist die Bedeutung dieses Landes für die Stabilität einer ganzen Region sowie für die Beziehungen zwischen der EU und Russland nicht zu unterschätzen. Die Stichwahl um das Präsidentenamt vom vergangenen Sonntag war wieder ein Beleg dafür, wie stark Wahlgänge im postsowjetischen Raum in der Berichterstattung oft auf eine grundsätzliche Richtungsentscheidung reduziert werden: Nimmt das Land einen prorussischen oder proeuropäischen Kurs ein?

Doch darf der Sieg des ehemaligen Wirtschaftsministers Igor Dodon, der aus seiner Zuneigung zu Wladimir Putin und dem Führungsstil des russischen Präsidenten nie ein Hehl gemacht hat, nicht vorschnell zu falschen Schlussfolgerungen für den künftigen Kurs des Landes verleiten.

Tiefer liegende Spannungen

Tatsächlich verschleiern derart strikte Kategorisierungen tiefer liegende Spannungen, die sich nur kontextuell erklären lassen. So scheint die vordergründige Sorge, wonach sich nun das Land von Europa zusehends abwenden werde, einerseits übertrieben,

Am 1. Juli ist das Assoziationsabkommen zwischen der EU und Moldau nach einem langwierigen Ratifikationsprozess in Kraft getreten. Dies bedeutet nicht nur eine qualitative Steigerung der Intensität der Beziehungen zwischen Brüssel und Chişinau. In diesem Vertrag hat sich die Republik Moldau vor allem zur schrittweisen Übernahme eines Großteils des europäischen Besitzstandes verpflichtet. Ein Unterfangen, das in sich nicht nur einen Charakter von Finalität trägt, sondern auch von Komplexität wie politischen Rückschlägen begleitet werden wird.

Andererseits zeigt aber auch die Zuspitzung in dieser Wahl ein tiefer liegendes Symptom für jene zahlreichen Verwerfungen, die das Land seit dem Zerfall der Sowjetunion geprägt haben. Davon verschont wurden auch nicht staatliche Institutionen wie das Präsidentenamt selbst.

Zwischen 2009 und 2012 schaffte es das Parlament in Chişinau nicht, einen Kandidaten für die Präsidentschaft zu bestimmen. So war nach dem Abgang von Vladimir Voronin das Land für drei Jahre ohne Staatsoberhaupt, sieht man von der kommissarischen Ausübung des Amtes durch den Parlamentspräsidenten ab.

Erst im vergangenen März verfügte das Moldauische Verfassungsgericht, dass die Bestimmungen, die dem Parlament diese Kompetenz zuweisen, der Verfassung widersprechen, sodass es diesmal erstmals seit 1996 wieder zu einer Volkswahl des Staatsoberhauptes kam.

Systemisches Misstrauen

Die institutionelle Instabilität wird komplettiert von einem systemischen Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Einrichtungen, die das kleine Land seit seiner Unabhängigkeit wie eine chronische Erkrankung beutelt. So schien die jahrelange Schaukelpolitik zwischen Ost und West, die Brüssel wie auch Moskau von den Moldauischen politischen Eliten als „multivektoriell“ verkauft wurde, im Jahr 2009 beendet.

Die Parlamentswahlen vom Juli 2009, aus denen das prowestliche Wahlbündnis „Allianz für Europäische Integration“ siegreich hervorging und die seit 2001 regierenden Kommunisten auf die Oppositionsbank verdrängte, wurde als Zeitenwende gefeiert. Tatsächlich gingen im Vorfeld dieser Wahlen Tausende Menschen auf die Straßen und demonstrierten für ein Ende der Korruptionsepidemie sowie für das Einschlagen eines europäischen Kurses für das Land.

Auch wenn den prowestlichen Parteien in der moldauischen Regierung seitdem gewisse Erfolge gelungen sind – insbesondere der Abschluss des Assoziationsabkommens sowie die Visaliberalisierung mit der EU zählen dazu – die hohen Erwartungen der Bevölkerung vermochten sie nicht zu erfüllen. Ganz im Gegenteil.

So bleibt die Republik Moldau trotz makroökonomischer Stabilisierung nach der Finanzkrise eines der ärmsten Länder Europas. Hunderttausende moldauische Staatsbürger verdingen sich als Gastarbeiter im Ausland, was angesichts von weniger als vier Millionen Einwohnern eine bemerkenswert hohe Zahl darstellt.

Dies kann noch besser angesichts der jährlichen Heimatüberweisungen von einer Milliarde US-Dollar illustriert werden, was etwa einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts des Landes entspricht.

Eine Serie von Skandalen

Es zeigte sich jedoch vor allem, dass auch die politischen Kräfte mit prowestlichem Etikett die gleiche Einstellung zu Fragen von Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Transparenz wie ihre Vorgänger einzunehmen pflegten. Ein Skandal jagte den nächsten. So kam es 2013 zum sogenannten Huntgate, als bei einer illegalen Jagd mehrerer hochrangiger Staatsbeamter ein Teilnehmer zu Tode kam, wobei von höchster Stelle versucht wurde, diesen tragischen Unfall zu vertuschen.

Gleichzeitig blieb die Verfilzung von Politik und Oligarchen weiter bestehen. Angegangene Reformen hatten und haben in der Republik Moldau immer nur kosmetischen Charakter.

Doch was 2014 geschah, war selbst für moldauische Verhältnisse einmalig. Im als „Diebstahl des Jahrhunderts“ bezeichneten Bankenskandal wurde mehr als eine Milliarde Euro aus dem moldauischen Finanzsystem in unbekannte Kanäle geleitet. Wieder war die hohe Politik dabei involviert: Vlad Filat, der frühere Premierminister der prowestlichen Koalitionsregierung, wurde im Zusammenhang mit diesem Raub verhaftet.

Diskreditierter Westen

Dies jedoch führte als bisher letzter Kulminationspunkt nicht nur zur Desillusionierung weiter Teile der Bevölkerung, sondern auch zu einer Diskreditierung all jener Politik, die das Label „prowestlich“ trägt. Wenn das Aufeinandertreffen der Politik Russlands und der Politik der EU in der östlichen Nachbarschaft als Integrationskonkurrenz bezeichnet werden soll, dann haben die einzelnen Regierungen des Landes seit 2009 für einen Erfolg Brüssels in dieser strategischen Auseinandersetzung einen Scherbenhaufen hinterlassen.

Um daraus Nutzen zu ziehen, wird Russland kurioserweise nicht nur auf seinen Einfluss im nach wie vor ungelösten Transnistrienkonflikt angewiesen sein. Der außerhalb der Jurisdiktion Moldaus befindliche de facto Staat profitiert derweil sogar von der Inklusion unter das Assoziationsabkommen mit der EU. Auch wenn immer eine latente Gefahr besteht: Weder Chişinau noch Tiraspol (die Hauptstadt Transnistriens) sind daran interessiert, Feindseligkeiten wieder aufleben zu lassen. Auch könnte Russland einem ihm eher gewogenen Präsidenten entgegenkommen und Sanktionen aufheben, die dem Land enorm geschadet haben.

Europa hat sich in Moldau blenden lassen und lange Zeit auf unzuverlässige politische Akteure gesetzt. Es ist wirklich an der Zeit, selbige ausschließlich an ihren Taten zu messen.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Dr. Benedikt Harzl
ist Austrian Marshall Plan Foundation Fellow an der Johns Hopkins University in Washington, D.C. sowie Assistenzprofessor am Zentrum Russian, East European and Eurasian Studies der Karl-Franzens-Universität Graz und forscht zu Territorialkonflikten im postsowjetischen Raum. Er ist Autor der Monografie „Der georgisch-abchasische Konflikt“. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2016)

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