Avanti Dilettanti! Johlend ins Zeitalter des Rabaukentums

Nach Trumps Sieg warten in Europa Gesinnungsfreunde auf ihre Stunde.

Mit Entsetzen, Staunen und manchmal sogar Bewunderung hat Europa auf den Wahlsieg von Donald Trump reagiert. Man kann kaum geteilter Meinung über Trump sein, volle Einigkeit unter den Kommentatoren besteht lediglich hinsichtlich seiner Unberechenbarkeit.

Obamacare abschaffen? Doch nicht ganz. Mauerbau zu Mexiko? Einen Zaun gibt es eigentlich schon. Aufbrechen des Washingtoner Politfilzes? Die ersten Ernennungen zeigen das Gegenteil. Fortsetzung des republikanischen Sozialdarwinismus? Oder doch ein massives Investitionsprogramm zugunsten der Infrastruktur, das die Republikaner in den vergangenen acht Jahren durch haltlose Obstruktionspolitik im Kongress blockiert haben?

Die Sprunghaftigkeit, oder eher Planlosigkeit des Politrabauken wird uns die nächsten Jahre ebenso begleiten wie seine Suche nach Schuldigen, sobald die Wahlkampfversprechen sich als das herausstellen, was sie sind: haltlos.

Angesichts von Berlusconi, Orbán, Farage, Wilders, Le Pen und ihren österreichischen Konsorten, stünde es Europa gut an, sich ernsthaft mit den Gründen für den Siegeszug des Dilettantismus auseinanderzusetzen. Es ist zu befürchten, dass sich diese Auseinandersetzung eher mit Symptomen denn Ursachen beschäftigt.

Erodierende Pfeiler

Wohlfahrtsstaat, Rechtssicherheit, Diplomatie, Klimaschutz, Frieden durch Interdependenz – das sind die Grundpfeiler europäischen Selbstverständnisses. Brauchen wir Trump, um diese Pfeiler erodieren zu lassen? Keineswegs. Seit Jahren erleben wir einen Abbau des Sozialstaates, eine unappetitliche, faktenbefreite Diskussion über „Sozialschmarotzer“.

Diplomatie? Auch Trumps Wahlsieg wird nicht dazu beitragen, dass Europas lang gehegter Traum, gleichwertiger Partner zwischen Russland und den USA zu sein, wahr wird. Wir werden weiterhin in internationaler Bedeutungslosigkeit verharren. Auch eine mögliche Männerfreundschaft zwischen Trump und Putin wird Europa nicht zu einer gemeinsamen Außenpolitik verführen. Dafür sorgen schon die nationalistischen Tendenzen im Europäischen Rat.

Freihandel als Verderbnis

Aber zumindest in Sachen Klimaschutz sind wir Vorreiter? Solange es um die Aushandlung von Abkommen geht, mag das richtig sein, die Implementierung jedoch scheitert kläglich. Interdependenz durch Handel? Man kann den Segnungen von TTIP kritisch gegenüberstehen, sind doch die gesamtwirtschaftlichen Effekte aufgrund der Größe der beiden Volkswirtschaften kaum zu berechnen.

Die Rechnung kann man sich mittlerweile auch sparen, denn im Freihandel liegt laut Trump das Verderben. Vielmehr sind Schutzzölle der Weisheit letzter Schluss – das Gegenteil von 65 Jahren europäischer Integration, die auf dem Abbau von Handelshemmnissen zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes beruht. Dazu haben wir keinen Trump gebraucht, all die Argumente gegen die vier europäischen Grundfreiheiten wurden bereits anlässlich Brexit und seiner fatalen Folgen durchexerziert.

All das sind Symptome, nicht Ursachen. Wie konnte es dazu kommen, dass Intoleranz frech Toleranz für menschenverachtende Politik fordert und dafür johlenden Beifall erntet? Dass übertrainierte Sprechpuppen ohne politischen Anstand die immer selben Floskeln absondern und in Anspruch nehmen, „für das Volk zu sprechen“? Dass Meinung und Wissen austauschbar geworden sind? Wenn wir darauf keine Antworten finden und keine Rezepte, können wir uns auf eine lange Zeit im Zeichen des Dilettantismus einstellen.

Johannes Pollak, Leiter der Forschungsgruppe Europäische Integration am IHS; Univ.-Prof. für Internationale und Europäische Politik, Webster Private University Vienna.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2016)

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